DIE LIEBENDEN VON POLITEIA

 

SCHAUSPIEL

 

Dieses Stueck handelt von "Realitaeten". Vom Streben nach Macht, und von seiner Vergeblichkeit.

 

Personen

Die Politiker:

LUMUMBA, Staatspraesident und Parteivorsitzender

TSCHOU, sein Stellvertreter und Wirtschaftsminister

WEHLER, Fraktionsvorsitzender

ECKERMANN, Geheimdienstkoordinator und enger Berater Lumumbas

GUILLAUME, Lumumbas Ex-Assistent und Parteivorstand

BAUMANN, Parteivorstand

JUNG, ein junger Abgeordneter

INNINGER, Parteivorstand

MILSTER, Oppositionsfuehrer

Die Frauen:

CHRISTINE, Callgirl

KLEOPATRA, Lumumbas Frau

KATHARINA, Tschous Frau und Schwester Lumumbas

Sonstige:

PINOCHET, Generalinspekteur der Streitkraefte

BUCK, amerikanischer Botschafter

TIEMEIER, Fernsehkommentator

 

Regieanweisung: Tschou redet eher leise und lispelt und stottert ein bisschen, beendet Saetze mit einem unsicheren "nicht?" Wehler verkuerzt seine Saetze oft zu Fragmenten, redet in Stichworten.




1. Akt

1.Szene

Die Wohnung eines Callgirls. Ein Paar (Guillaume und Christine) kopuliert im Halbdunkel vor einem laufenden Fernseher. In die Stimme des Fernsehsprechers, der mit einem Bericht ueber Armutsaufstaende in der Provinz und wirtschaftliche Depression eine duestere Endzeitstimmung verbreitet, mischen sich die Geraeusche des Paares.

NACHRICHTENSPRECHER In der Suedprovinz ist es erneut zu Anschlaegen und Entfuehrungen gekommen. Eine Touristengruppe aus Spanien, die sich die Ausgrabungen ansehen wollte, wird seit gestern vermisst. Im Falle der beiden entfuehrten franzoesischen Journalisten hat die Regierung trotz Intervention des franzoesischen Botschafters das Ultimatum verstreichen lassen. (Guillaume ist fertig und waelzt sich von Christine.)
NACHRICHTENSPRECHER Im Falle des Mordes an Zornig hat die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen wieder aufgenommen. (Christine greift nach der Fernbedienung und stellt den Fernseher leiser.)
GUILLAUME Lass mal. (Sie kuemmert sich nicht darum.) Bitte mach wieder an. Es ist wichtig.
CHRISTINE Ihr mit eurer Politik. Ihr werdet euch alle noch den Hals brechen. (stellt lauter, wechselt aber auf einen anderen Sender)
GUILLAUME Oh Mann.
CHRISTINE Das ist MEINE Wohnung. (Guillaume zuendet sich eine Zigarette an. Inhaliert.)
CHRISTINE Musst du hier rauchen?
GUILLAUME Ich habe hier immer geraucht.
CHRISTINE Meine Kunden duerfen normalerweise nicht rauchen.
GUILLAUME (nimmt noch einen Zug) Ich bin eben kein normaler Kunde. (Christine zappt weiter hin und her)
GUILLAUME Warum du immer Fernsehen gucken musst.
CHRISTINE Warum du immer die Socken anbehalten musst.
GUILLAUME Entschuldige. (Er drueckt seine Zigarette aus) Was sagt unser Freund?
CHRISTINE Nicht viel. Er ist seit letzter Woche nicht dagewesen.
GUILLAUME Immer im Stress, der gute Junge.
CHRISTINE Hofft, soweit ich verstande habe, Verkehrsminister zu werden.
GUILLAUME Das hast du mir letztes Mal schon erzaehlt.
CHRISTINE Oder Geheimdienstkoordinator.
GUILLAUME Aha!?
CHRISTINE Ich weiss gar nicht, warum du das alles so genau wissen willst, wo du selbst nahe an der Quelle sitzt.
GUILLAUME Lumumba will herausfinden, wie seine Leute ticken. Ob sie zuverlaessig sind oder illoyal, ob sie an ihm zweifeln, ob es Dinge gibt, die ihm verschwiegen werden.
CHRISTINE Dinge, die man nur im Bett einer Hure erfaehrt.
GUILLAUME Genau. Dafuer bezahlen wir dich. Im Moment interessiert uns die Frage, was er von Pinochet haelt.
CHRISTINE Du meinst, der General?
GUILLAUME Ja.
CHRISTINE Wieso soll das wichtig sein. Was Eckermann ueber irgendeinen General denkt.
GUILLAUME Es ist wichtig. Pinochet ist nicht irgendein General.
CHRISTINE Wie stellst du dir das vor? Wie soll ich das machen? Das Thema Militaer haben wir im Bett bisher nicht angeschnitten. Und auch sonst nicht.
GUILLAUME Kommt schon noch. Wenn er erst mal Geheimdienstkoordinator ist.
CHRISTINE Du gehst tatsaechlich davon aus, dass ihr die Wahl gewinnt.
GUILLAUME Ja. Guck dir doch unsere Gegner an. Alles verzagte Jammergestalten. Schlaffe Saecke. Wuerdest du auch schnell merken, wenn du mit ihnen zu tun haettest.
CHRISTINE Nein danke.
GUILLAUME Du koenntest das doppelte verdienen.
CHRISTINE (ungeduldig) Zwei Politiker reichen mir. -
GUILLAUME Frueher warst du da anders.
CHRISTINE Wie war ich denn frueher?
GUILLAUME Viel zugaenglicher. Wenn ich daran denke, wie wir uns kennengelernt haben. (schwelgt in Erinnerungen) Nackt und kichernd haben wir dich um den Pool gejagt ...
CHRISTINE Ich war jung und naiv und habe mir keine Gedanken gemacht.
GUILLAUME Du hast auch nicht soviel ferngesehen.
CHRISTINE Ich mochte die Maenner.
GUILLAUME Und die Maenner mochten dich.
CHRISTINE Man wird aelter, und versteht so einiges.
GUILLAUME Dann verstehst du auch, dass ich Informationen brauche. Eckermann scheint ziemlich schweigsam geworden zu sein, im Vergleich zu frueher. Frueher sprudelte es nur so aus ihm heraus. Ich konnte kaum alles mitschreiben, was er dir erzaehlt hat.
CHRISTINE Vielleicht misstraut er mir, ahnt etwas.
GUILLAUME (zweifelnd) Moeglich. - Aber ich werde den Verdacht nicht los ...
CHRISTINE Welchen Verdacht?
GUILLAUME Draengt sich doch geradezu auf.
CHRISTINE Was?
GUILLAUME Du koenntest Mitleid mit ihm haben.
CHRISTINE Wie kommst du denn darauf?
GUILLAUME Draengt sich doch geradezu auf. So nah wie ihr euch seid. Aber lass dich gewarnt sein. Der Mann ist im Innern knallhart.
CHRISTINE Kann schon sein.
GUILLAUME Skrupellos.
CHRISTINE Stoert mich nicht.
GUILLAUME Gefuehlskalt.
CHRISTINE Darin aehneln wir uns.
GUILLAUME Eine Maschine.
CHRISTINE Du wirst deine Informationen kriegen. Wenn du morgen gekommen waerest ...
GUILLAUME Ging leider nicht. Du weisst, wie das bei mir ist: Termine, Termine, Termine. Ausserdem hatte ich ein dringendes Beduerfnis.
CHRISTINE Er hat sich fuer heute abend bei mir angemeldet.
GUILLAUME Ist doch was. - Ich werde dich anrufen.
CHRISTINE (schaut auf die Uhr)
GUILLAUME Muss ich gehen?
CHRISTINE Keine Eile. Ausser, er kommt frueher. Was er auch schon gebracht hat. Wahrscheinlich, um sich meine anderen Kunden anzusehen.
GUILLAUME Dann will ich lieber ... (holt Geld aus seiner Tasche und gibt es ihr)
CHRISTINE Viel ist das nicht.
GUILLAUME Fuer die paar Informationen.
CHRISTINE Du hattest noch anderen Service.
GUILLAUME (lacht) Ich dachte, das waere umsonst.
CHRISTINE Typischer Fall von dachtste. (Guillaume lacht wieder und legt ein paar Scheine dazu. ab)

(Christine sitzt allein vor dem Fernseher. Die Zeit vergeht. Sie zappt lustlos hin und her. Bei einem Beitrag ueber Bikinimode bleibt sie haengen.)
NACHRICHTENSPRECHER ... ist heute ist die Dana-Bank zusammengebrochen, nachdem gestern ihr wichtigster Kunde, der Nordwolle-Konzern Konkurs angemeldet hat. Tausende von Anlegern haben noch in letzter Sekunde versucht, an ihre Guthaben zu kommen. Wie es heisst, hat die Bank bereits im Sommer rund 40 Prozent ihrer Einlagen verloren. Der Konkurs und die fortgesetzte Boersenbaisse haben ihr nun offenbar den Rest gegeben.
MODERATORIN ... bei der Auswahl der Farbe. Zu weisser Haut koennen Sie unmoeglich leuchtend gruen tragen. Ein dunkelblaues oder weinrotes Trikot waere hier das richtige. Warten Sie, bis ihre Haut bronciert ist ...
(Es klingelt. Sie geht zur Tuer, oeffnet. Auftritt Eckermann. Sie kuessen sich fluechtig wie ein altes Ehepaar, gehen zusammen zum Fernseher.)
CHRISTINE Du bist spaet heute.
ECKERMANN Was glaubst du? Es ging nicht frueher.
CHRISTINE Ich habe auch nicht Zeit, ewig auf dich zu warten. Habe auch meine Verpflichtungen.
ECKERMANN Entschuldige. Ich bin mehrmals aufgehalten worden von Leuten, die mich frueher nicht mal gegruesst haben.
CHRISTINE Ist doch ein gutes Zeichen.
MODERATORIN ... Top bei dieser Figur. Aber wie soll es der gewoehnliche Sterbliche richtig machen, wenn die Prominenten es ihm falsch vormachen?
ECKERMANN Kannst du mal auf die Nachrichten umschalten.
CHRISTINE (reicht ihm die Fernbedienung) Kennst du das nicht schon alles? (und waehrend er umschaltet:) Ob du auch bald zu denen gehoerst, die sie in Badehose fuer die Illustrierten ablichten?
ECKERMANN Hoffentlich nicht.
NACHRICHTENSPRECHER ... hat sich die wirtschaftliche Lage erneut verschlechtert.
CHRISTINE Also ich faende das toll.
NACHRICHTENSPRECHER Nach Auskunft des statistischen Landesamtes ist das Bruttosozialprodukt, trotz der im letzten Jahr eingefuehrten neuen Berechnungsmethoden, um 7 Prozent gesunken.
CHRISTINE Bekannt und beruehmt sein.
ECKERMANN Sei mal still.
NACHRICHTENSPRECHER ... die Arbeitslosigkeit auf 26 Komma 1 Prozent gestiegen, den hoechsten Stand seit 3 Jahren. Einige Abgeordnete der Koalition haben eine drastische Erhoehung oeffentlicher Investitionen gefordert, auch um den Preis einer hoeheren Nettokreditaufnahme.
ECKERMANN Schlottern um ihre Wahlkreise.
NACHRICHTENSPRECHER Der Fuehrer der Opposition hat der Regierung Untaetigkeit vorgeworfen. In einem Interview der Financial Times sagte Lumumba woertlich, sie habe es sich vor allem selbst zuzuschreiben, wenn sie demnaechst abgewaehlt werde. - Die Regierung betont, dass sie von ihrem strikten Sparkurs nicht abruecken wird. Sie wird darin von den Wirtschaftsweisen bestaerkt, die eine Erholung spaetestens zum Jahresende in Aussicht stellen.
ECKERMANN Die mit ihren Gefaelligkeitsgutachten.
FINANZMINISTER Ich gehe davon aus, und alle Daten deuten darauf hin, dass sich die Konjunktur in den naechsten Monaten deutlich beleben wird. Unser Problem ist nach wie vor die schleppende Binnennachfrage. Die Menschen muessen das Vertrauen in die Wirtschaft zurueckgewinnen. Jeder Eingriff jetzt wuerde uns zur Spirale des Schuldenmachens und der Inflation zurueckfuehren.
ECKERMANN Er sagt immer dasselbe.
CHRISTINE Meinst du, ihr habt diesmal Chancen?
ECKERMANN Wir fuehren in allen Umfragen.
CHRISTINE Wie beim letzten Mal. Und dann hat doch ...
ECKERMANN Still bitte.
NACHRICHTENSPRECHER Im Norden ist es bei einer Demonstration des vereinigten Oppositionsbuendnisses zu Ausschreitungen gekommen. Extremisten haben aus dem Demonstrationszug mit Steinen Schaufensterscheiben eingeworfen. Als die Polizei einschritt, kam es zur Strassenschlacht mit bis zu 50 Verletzten. 24 Personen wurden festgenommen.
ECKERMANN Die Radikalen sind die einzigen, die unseren Wahlsieg noch gefaehrden koennen.
CHRISTINE Weil die Bevoelkerung Angst vor ihnen hat.
ECKERMANN Lumumba hat sich immer eindeutig von ihnen distanziert.
CHRISTINE Ist das wirklich ernst zu nehmen?
ECKERMANN Ja sicher. Wieso glaubst du nicht?
CHRISTINE Aus wahltaktischen Ueberlegungen. Und weil er frueher selber.
ECKERMANN Wahltaktische Ueberlegungen? Wo hast du das denn aufgeschnappt?
CHRISTINE Ich meine ja bloss. Der Normalbuerger macht sich doch Sorgen ...
ECKERMANN Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Dir geht es doch blendend.
CHRISTINE ... ob das bei einem Regierungswechsel so bleibt?
ECKERMANN Warum sollten wir euch Huren schlechter behandeln?
CHRISTINE Ob ich zum Beispiel demnaechst Steuern bezahlen darf?
ECKERMANN Kann ich mir schwerlich vorstellen.
CHRISTINE Weil Ihr unseren Beruf legalisieren wollt.
ECKERMANN Was spricht dagegen?
CHRISTINE Ob ihr euer Wahlprogramm tatsaechlich eins zu eins umsetzen werdet. Verstaatlichung der Banken, der Oelindustrie, euer Sozialprogramm? Du musst das doch beurteilen koennen. Du hast doch das Ohr deines Chefs.
ECKERMANN Mich wundert, dass dich solche Dinge interessieren.
CHRISTINE Ooch, mehr so am Rande.
ECKERMANN Du reitest staendig darauf herum. Ich frage mich schon ...
CHRISTINE Warum? Ist doch wichtig. (kokett) Ob du als Minister in spe moeglicherweise Wert darauf legst, deine Ausgaben kuenftig korrekt zu versteuern.
ECKERMANN Also erstens werde ich wohl nicht Minister, und zweitens will ich von Politik, wenn ich bei dir bin, eigentlich gar nichts hoeren.
CHRISTINE (deutet auf den Fernseher) Und was ist das?
ECKERMANN (schaltet den Fernseher aus) Sowieso vorbei. Lass uns ueber was Angenehmeres reden. (Sein Handy klingelt. Er kramt in seiner Tasche danach.) Hallo? - Ja, tut mir leid. Ich konnte nicht laenger bleiben. - Was? - Tatsaechlich? - Noch vor den Wahlen? Die versuchen auch alles. - Gut, ich werde da sein. - Sagen Sie ihm, ich werde gleich morgen. - Ja, alles klar. Wiederhoeren.
CHRISTINE (hat derweil gelangweilt den Fernseher wieder angemacht, aber immerhin den Ton leiser gestellt) Und? Was Neues?
ECKERMANN Die Staatsanwaltschaft hat einen Zwischenbericht angekuendigt.
CHRISTINE Wegen Zornig?
ECKERMANN Noch vor den Wahlen.
CHRISTINE Da kam vorhin was im Fernsehen; aber ich habe nicht hingehoert.
ECKERMANN Nur Getoese. In Wirklichkeit hat sie nichts in der Hand. Sein Tod bleibt raetselhaft.
CHRISTINE Meinst du, sie koennen die Wahlen damit beeinflussen?
ECKERMANN Ich glaube nicht. Das Thema schadet ihnen eher. Ich glaube nicht, dass sie noch irgendetwas retten kann. Dazu haben sie sich zu unbeliebt gemacht.
CHRISTINE Und? Wirst du Minister?
ECKERMANN Minister zweiter Klasse, wuerde ich sagen. Staatsminister fuer Polizei und Geheimdienste.
CHRISTINE Mit Aufstiegschancen?
ECKERMANN Ich denke schon. Der Punkt ist: Lumumba will mich in seiner Naehe haben. Als Minister, sagt er, bin ich zu weit weg vom Ort des Geschehens.
CHRISTINE Und Guillaume?
ECKERMANN Wird wohl meine bisherigen Parteiaufgaben uebernehmen. Warum fragst du?
CHRISTINE Magst du ihn?
ECKERMANN Oh, moegen ... - Mich wundert wirklich, dass du nach ihm fragst.
CHRISTINE (schweigt)
ECKERMANN Er ist mir neulich unten auf der Strasse begegnet.
CHRISTINE Hier auf der Strasse?
ECKERMANN Ja, hier auf der Strasse.
CHRISTINE Du musst dich verguckt haben.
ECKERMANN Ich bin mir ziemlich sicher.
CHRISTINE Ja (lacht gezwungen), warum auch nicht? Ich schaetze, dass sich hier einige Politiker herumtreiben. Mehr als du denkst.
ECKERMANN Wahrscheinlich.
CHRISTINE Hat er dich erkannt?
ECKERMANN Ich glaube nicht. Das heisst, ich weiss nicht. - Warum willst du das wissen?
CHRISTINE Nur so. - DU legst doch soviel Wert auf Diskretion.
ECKERMANN Kennst du ihn eigentlich persoenlich?
CHRISTINE Ich? Kennen?
ECKERMANN Ja. Ist er dein Kunde?
CHRISTINE Kunde? Nein. Wie kommst du darauf?
ECKERMANN Ach nichts. Ich kann mich auch taeuschen. (beginnt sich auszuziehen) - Es waere alles viel einfacher, wenn sich unsere Beziehung legalisieren liesse.
CHRISTINE (kuschelt sich an ihn) Oh ja, Liebling. Glaub mir, das waere auch mein Traum.
ECKERMANN Aber wie soll das gehen? Wenn die Presse Wind davon bekaeme ...
CHRISTINE (bitter) Dass du mit einer wie mir. Waerst du weg vom Fenster, koenntest nie Minister werden. Oder?
ECKERMANN So sind leider die Spielregeln.
CHRISTINE Es wuerde sowieso nicht funktionieren. Mich kann sich ein einzelner gar nicht leisten. Nun komm. (Sie schaltet das Licht aus und will sich ihm hingeben. Da klingelt sein Handy erneut.)
ECKERMANN (aufgeregt) WAS? - Das ist ja. - Unglaublich. - Nein, in den Nachrichten haben sie nichts gebracht. - Nein. - Soll ich kommen? - Gut, wenn du meinst. Wir treffen uns dann morgen. Wie verabredet.
CHRISTINE Was ist los?
ECKERMANN Wehler ist entfuehrt worden. - Es gibt auch schon eine Loesegeldforderung.
CHRISTINE Und? Was werdet ihr tun?
ECKERMANN Weiss nicht. Die Polizei kuemmert sich darum, und im Innenministerium hat sich ein Krisenstab gebildet. Lumumba sagt, im Moment braucht er mich nicht. - Wir koennen weitermachen. (will sie umarmen)
CHRISTINE Aber Wehler? Ist das nicht einer eurer wichtigsten Leute?
ECKERMANN Fraktionsvorsitzender. Ist schon ein Ding. Wobei, ich persoenlich kann nicht so gut mit ihm. Insofern ist es fuer mich ... es waere schlimmer, wenn es Lumumba erwischt haette. - Also, was ist?
CHRISTINE Ja dann. (Sie laesst sich auf ihn fallen. Er schaltet das Licht aus. Vorhang)



2.Szene

Auf der Strasse. Abgestellte Autos, Fahrraeder, Schaufensterauslagen, ein Obststand. Eine Frau sieht sich das Obst an. An der Ecke sitzt ein Bettler. Ein Zeitungsverkaeufer mit seinem Zeitungskasten, an dem Eckermann vorbeigeht.

ZEITUNGSVERKAEUFER (ruft) Ausschreitungen vor dem Regierungspalast. Zehn Schwerverletzte. Mobilmachung der Nationalgarde erwogen.
HAENDLER (ins Handy) Die Woche geht's leider nicht. Vielleicht naechste. Besuch vom Schwager. Er will mir helfen, das Bad neu zu fliesen.
ALTE FRAU Schoenes Obst. Darf ich anfassen.
HAENDLER Bittesehr, die Dame. - (ins Handy:) Wir hatten einen Wasserrohrbruch; seitdem sieht's bei uns aus. - Er kennt sich aus damit. Wollte sowieso kommen. Und da hat meine Frau gesagt ...
ALTE FRAU Fuehlt sich gut an. So reif und suess.
HAENDLER Was darf es sein?
ALTE FRAU Aber die Preise.
HAENDLER Jaja, die Preise.
ZEITUNGSVERKAEUFER Ausschreitungen vor dem Regierungspalast. Mobilmachung der Nationalgarde erwogen.
ALTE FRAU Die Preise steigen wie verrueckt, und meine Rente bleibt die gleiche. Man kann sich nichts mehr leisten.
HAENDLER Ja, dann kann ich nicht helfen. Bitte treten Sie von der Ware zurueck. (verscheucht sie)
ZEITUNGSVERKAEUFER Zehn Schwerverletzte bei Ausschreitungen. Mobilmachung der Nationalgarde erwartet.
ECKERMANN (zum Zeitungsverkaeufer) Lass mal sehen. (nimmt eine Zeitung und liest) Opposition steckt hinter den blutigen Ausschreitungen. - Warum schreibt Ihr sowas?
(Von links kommen ploetzlich Demonstranten auf die Buehne)
ZEITUNGSVERKAEUFER Opposition bereitet Umsturz vor.
ECKERMANN So ein Bloedsinn.
ERSTER DEMONSTRANT Wenn sie es endlich taete. Schluss mit dem Beschiss und Betrug, den Schiebungen und den Steuerschlupfloechern. Weg mit der Regierung. Weg mit dem ganzen System.
ZWEITER DEMONSTRANT Wir wollen Arbeit.
(Eckermann ab. Die Demonstranten fangen das Randalieren an. Sie werfen die Schaufensterscheibe ein, versuchen ein Auto in Brand zu setzen und stossen den Kasten des Zeitungsverkaeufers um, woraufhin die Zeitungen vom Wind ueber die Strasse verteilt werden.)
ZEITUNGSVERKAEUFER Was faellt euch ein?
(Die Demonstranten bauen sich drohend vor ihm auf. Der Zeitungsverkaeufer wagt nichts mehr zu sagen, sondern faengt wortlos an, seine Zeitungen aufzusammeln. Die Demonstranten gehen zum Obststand und greifen ungeniert nach den besten Aepfeln. Der Haendler wird wuetend und holt einen Besen. Die Demonstranten lachen und rennen weg.)



3.Szene

Buck und Pinochet in einem Hotelzimmer. Pinochet laeuft hin und her. Buck sitzt auf einem Stuhl, eine Aktentasche auf den Knien, und sichtet Papiere. Pinochet bleibt vor ihm stehen.

PINOCHET Was ist? Wo bleibt er?
BUCK Er wird schon kommen.
PINOCHET Ich weiss nicht, ob das sinnvoll ist.
BUCK Was meinen Sie?
PINOCHET Je mehr Leute ueber meine Haltung Bescheid wissen, um so schwieriger wird es fuer mich ...
BUCK (hebt beschwichtigend die Haende) Milster ist absolut vertrauenswuerdig.
PINOCHET Das meine ich nicht. Es geht ums Prinzip. Wir Militaers weihen grundsaetzlich keine Zivilisten in geheime Plaene ein.
BUCK Mich haben Sie eingeweiht.
PINOCHET Das ist etwas anderes. Bei den vielen Beratern, die Sie in unserer Armee untergebracht haben, laesst sich vor Ihnen ohnehin nichts geheimhalten. Aber Milster. In meinen Augen ist er ein unsicherer Kantonist. Insgeheim bestimmt ein Liberaler.
BUCK Wie kommen Sie darauf?
PINOCHET Ich kenne ihn zu genuege. Mir macht er nichts vor. Wer weiss, ob er ueberhaupt Oppositionsfuehrer wird. Da draengen auch andere nach oben.
BUCK Schon moeglich, dass uns die eine oder andere Ueberraschung bevorsteht. Die Partei ist ziemlich in Aufloesung begriffen. Aber Milster ist Fraktionsvorsitzender und als solcher fuer mich im Moment der Hauptansprechpartner.
PINOCHET Und von der anderen Seite: haben Sie da auch einen Hauptansprechpartner? Einen Raedelsfuehrer oder Ex-Terroristen?
BUCK Und wenn es so waere?
PINOCHET Damit koennten sie leben.
BUCK So funktioniert Politik nun einmal.
PINOCHET Wie?
BUCK Dass man die Einsichtigen ins Boot holt und jeder mit jedem sachliche Gespraeche fuehrt.
PINOCHET Genau. Jeder redet mit jedem, und am Schluss uebernehmen ein paar dahergelaufene neunmalkluge Strauchdiebe das Ruder, kontrollieren unser Staatswesen und machen alles nieder, was uns wert und teuer ist. - Das kann und werde ich nicht zulassen.
BUCK Regen Sie sich nicht so auf. Es wird alles ...
PINOCHET Ob ich mich aufrege oder nicht, ist wohl meine Sache.
BUCK Es fuehrt zu nichts. (Er vertieft sich in seine Papiere)

(Milster kommt herein. Sie begruessen sich.)
MILSTER Entschuldigen Sie. Ich wurde aufgehalten. Der Wahlkampf.
BUCK Kein Problem. Nehmen Sie Platz, meine Herren. (Die drei setzen sich, Pinochet widerwillig, an den wackeligen Hoteltisch)
PINOCHET Etwas windig, das Mobiliar.
BUCK Ich habe mich in diesem Land an Provisorien gewoehnt.
MILSTER Sie haben um den Termin gebeten, Herr Botschafter?
BUCK Ja. Ich wollte Sie fragen, wegen der Wahl. Meine Regierung macht sich grosse Sorgen.
MILSTER Da gibt es nicht viel zu sagen. Die Wahl ist gelaufen.
BUCK Sieht es so schlecht aus?
MILSTER Kann man wohl sagen. Es geht nur noch darum, wie hoch wir verlieren.
BUCK Was schaetzen Sie?
MILSTER Miserabel. Der Praesident ist zu alt und zu unbeliebt. Er haette vor zwei Jahren zuruecktreten und einem Juengeren Platz machen sollen.
PINOCHET Ihnen zum Beispiel.
MILSTER Warum nicht? Dann haetten wir heute wesentlich bessere Karten.
PINOCHET Ich denke, dass Sie so oder so die Wahl verlieren.
MILSTER Sicher. Das ist auch meine Meinung. Wie ich bereits sagte ...
BUCK Wenn das ihre Meinung ist, sollten wir dem Vorschlag des Generalinspekteurs folgen und ueber unser Verhalten am Tag X nachdenken.
MILSTER Welches Verhalten?
BUCK Herr Pinochet geht mit gewissen Ueberlegungen schwanger.
MILSTER Naemlich?
BUCK Er hat gedroht, im Falle eines Wahlsieges der Opposition militaerische Massnahmen zu ergreifen.
MILSTER Wie bitte?
BUCK Ich denke, darueber sollten Sie informiert sein.
MILSTER Und was fuer Massnahmen hat er im Sinn?
PINOCHET Alles, was Recht und Ordnung wiederherstellt.
MILSTER Was konkret?
PINOCHET Das Militaer loest das Parlament auf und uebernimmt voruebergehend die Staatsgewalt. Ausnahmezustand.
MILSTER Verstehe. Voruebergehend.
PINOCHET Bis sich die Lage beruhigt hat.
BUCK Als naechstes die Frage, ob Sie das Vorhaben gutheissen.
MILSTER Also, davon moechte ich strikt abraten.
PINOCHET (zu Buck:) Da hoeren Sie's.
MILSTER Das wuerde unserer Demokratie, unserer Gesellschaft schweren Schaden zufuegen und sie wahrscheinlich zerstoeren.
PINOCHET Unsere Gesellschaft bewegt sich doch bereits am Rande des Abgrundes. Der Poebel hat die Strasse erobert und schickt sich an, die Macht zu ergreifen.
MILSTER Mit Ihrem Vorhaben wuerden Sie das Chaos nur vergroessern.
PINOCHET Was laesst sich da noch vergroessern? Sehen Sie sich doch um, Mann. Sehen Sie der Wahrheit ins Auge. Ihre Politik ist am Ende. Wir Militaers wuerden wieder Ordnung schaffen. Eine Regierung der nationalen Einheit. Mit faehigen Fachleuten. Auch die Wirtschaft kaeme wieder in Fahrt.
MILSTER Und Sie an der Spitze. Der grosse Pinochet: immer das letzte Wort. Gibt mit seinen Befehlen die Richtung vor. Ich kann verstehen, dass das eine Versuchung ist.
PINOCHET So eine Rolle strebe ich keineswegs an. Ich bin kein Charismatiker, der die Menschen fuer sich begeistert.
MILSTER Nicht so bescheiden. Ich habe doch im Verteidigungsausschuss erlebt, wie Sie Leute fuer sich einnehmen. Ihre Generaele schwaermen fuer Sie.
PINOCHET Trotzdem: Ich sehe mich eher im Hintergrund.
BUCK Der Strippenzieher also.
PINOCHET Ich bin fuer klare Befehle und Machtstrukturen.
MILSTER Warum kein Tyrann? Ein Tyrann braucht kein Charisma. Er braucht nur zu befehlen.
PINOCHET Da taeuschen Sie sich. Ein Tyrann muss gewiss nicht alles, aber manches, besser kommunizieren als ein Praesident.
MILSTER Zum Beispiel?
PINOCHET Seine Gewaltbereitschaft.
MILSTER Ich sehe, Sie haben darueber nachgedacht. Aber ich sage Ihnen: Diktatur ist keine Loesung. Sie wuerde die Grundlagen unserer Gesellschaft zerstoeren.
PINOCHET Wenn aber durch Tatenlosigkeit die Gesellschaft ins Unglueck gestuerzt wird? Muss die Elite dann nicht handeln?
MILSTER Und wie wollen Sie handeln? Mit Gewalt? Wer gibt Ihnen ueberhaupt das Recht, sich als Elite zu bezeichnen?
PINOCHET Das liegt doch auf der Hand. Wir Militaers haben in diesem Land schon immer eine fuehrende Rolle gespielt und manches Mal durch unsere Haltung erreicht, dass Gesetze ...
MILSTER ... verwaessert wurden, ich weiss.
PINOCHET ... moralische Standards nicht verletzen. Und ich will Ihnen noch etwas sagen: Mir ist aufgefallen, dass Sie wie die meisten politischen Fuehrer keine Kinder haben. Ich frage mich schon lange, wie solche Leute verantwortliche Politik machen koennen.
BUCK Das geht jetzt unter die Guertellinie.
MILSTER Ob jemand Kinder hat oder nicht, ist seine Privatsache.
PINOCHET Ich weiss, was ich meinen Kindern schuldig bin. - Ich kann daher nicht tatenlos zusehen, wie der Staat ins Unglueck stuerzt und werde alles tun, alles, verstehen Sie, um das zu verhindern.
BUCK Ich muss Sie bitten, sich zu zuegeln. Um es ganz deutlich zu sagen. Wir wuenschen im Moment von Ihnen keine Taten!
MILSTER Kinder hin oder her. Ich sehe das alles viel weniger dramatisch. Das Chaos, wie Sie das nennen, ist halb so schlimm, und das Geschrei der ausserparlamentarischen Opposition kann ich nicht ernst nehmen. Das verlaeuft sich wieder.
BUCK Zu was raten Sie also?
MILSTER Gelassen bleiben. Unbedingte Verfassungstreue. Abwarten, wie die neue Regierung sich anlaesst. Wahrscheinlich sind Ihre Befuerchtungen gar nicht gerechtfertigt. Ich hoere in letzter Zeit bei unseren Gegnern moderate, versoehnliche Toene.
PINOCHET Weil sie ihres Sieges sicher sind. Aber warten Sie mal ab ...
BUCK (zu Milster:) Meine Regierung und ich sind ganz Ihrer Meinung. Ich habe General Pinochet hier herbestellt, weil ich hoffe, ihn mit ihrer Hilfe ueberzeugen zu koennen, sich fuers erste zurueckzuhalten.
PINOCHET Was sollte mich davon ueberzeugen?
MILSTER Ganz einfach. Weil man die Entscheidung der Mehrheit respektieren muss.
PINOCHET Mehrheit! Was bedeutet die Mehrheit? Sie bedeutet wenig. Wenn Narren in einen Brunnen springen, soll ich hinterher? Was interessiert mich, wofuer sie ihre Hand heben. Die meisten hat man doch nur mit billigen Wahnideen vollgestopft, damit sie das richtige Kreuzchen machen. Wenn sie nicht sowieso gekauft sind. Wahlen koennen fuer die Elite kein Kriterium ihres Handelns sein. Das sage ich gerade Ihnen ins Stammbuch, Herr Milster. Der gegenwaertige Praesident ist ein weiser Mann. Er hat das im vertrauten Kreis laengst zugegeben und seinen Regierungsstil jahrelang daran ausgerichtet. Jetzt muss er abtreten, und ich kann nur hoffen, dass Sie als designierter Parteifuehrer moeglichst rasch vernuenftig werden. Sonst wird Ihnen das Schicksal Ihre jugendlichen Flausen eines Tages austreiben.
MILSTER Hoeren Sie. Wir leben in einer Demokratie, auch wenn Sie das anscheinend noch nicht mitbekommen haben. In einer Demokratie muss ein Machtwechsel moeglich sein. Wir werden uns damit abfinden, nach 30 Jahren Regierung in die Opposition zu gehen. Ich bin ueberzeugt, unsere Gegner werden in ihrem Dilettantismus nichts besser aber vieles schlechter machen als wir und prophezeie Ihnen, dass wir ganz schnell wieder oben sind.
PINOCHET Sie Traeumer! Lassen Sie sich gesagt sein: Ich kenne Wehler. Leute wie er geben die Macht nicht wieder her. - Ich moechte aber den Botschafter eines fragen.
BUCK Bitte.
PINOCHET Was passiert, wenn sie sich der Oelindustrie bemaechtigen. Ich bin gespannt, ob Ihre Regierung dann immer noch fuer Stillhalten plaediert.
BUCK Das wuerde allerdings die Lage aendern.
PINOCHET Aber dann bin ich moeglicherweise nicht mehr im Amt. Kaltgestellt. Ein General ausser Dienst. Und die Armee wird von Banditen befehligt. (schnaubt) Sie werden schon sehen.
BUCK Soweit wird es nicht kommen. Lumumbas Partei hat sich nach meinen Informationen seit Zornigs Tod stark gewandelt. Die Neue Politik ...
PINOCHET Die Neue Politik!
BUCK Insofern glauben wir, die Situation im Griff zu haben.
PINOCHET Die neue Politik dient lediglich der Propaganda und dazu, innerparteiliche Abweichler und ehemalige Zornig-Vertraute loszuwerden.
MILSTER Das sehe ich anders. Nach meiner Einschaetzung laesst sich mit einigen der kuenftigen Minister ganz gut zusammenarbeiten.
PINOCHET Dann mal los! Wohl bekomm's! - Zusammenarbeiten! Mit Halunken zusammenarbeiten. In der Schwatzbude, die Sie Parlament nennen!
MILSTER Auf diese Ebene werde ich mich nicht begeben.
PINOCHET Tut mir leid, ich kann Ihren Optimismus nicht teilen. Was ist, wenn Sie sich verschaetzen? - (zu Buck:) Ich werde es Ihnen sagen. Dann werden Ihre Konzerne aufjaulen, und Ihr Praesident muss um seine Wiederwahl fuerchten. Als erstes wird er Sie abberufen.
BUCK Im Notfall muesste natuerlich eingegriffen werden, das ist klar. Ich bin kein Zauderer. Aussergewoehnliche Umstaende wuerden aussergewoehnliche Massnahmen verlangen.
MILSTER Soll das heissen ...
BUCK (wehrt ab) Keine Angst. Bevor Amerika solche Massnahmen ergreift, wird es mit seinen Freunden darueber reden. - Aber lassen Sie uns das Thema beenden. Ich gehe davon aus, der General hat begriffen, dass er mehr Geduld haben muss.
PINOCHET Wenn Sie meinen.
BUCK Er hat mir von seinem Landgut freundlicherweise einen sehr guten Weinbrand mitgebracht. Wie waere es, wenn wir anstossen. (Er entkorkt die Flasche und fuellt 3 Glaeser) Auf uns. Auf die Zukunft.
PINOCHET Auf die Zukunft. (Sie trinken.)
MILSTER (besinnt sich kurz) Ich moechte Sie - als Ihr Freund - um etwas bitten.
BUCK Was denn?
MILSTER Ich finde unsere Treffen jetzt im Wahlkampf etwas problematisch. Wenn die Presse davon Wind bekommt, dass wir regelmaessig zusammenkommen ...
PINOCHET Fuer mich ist das ebenfalls ein Problem.
BUCK Es koennte Ihrem Ruf schaden. Meinen Sie das?
MILSTER Solche Besuche sind leider oft nicht geheim zu halten.
BUCK Trotzdem werden Sie verstehen, meine Herren, dass ich auf unseren regelmaessigen informellen Zusammenkuenften bestehe. Schliesslich will ich auf dem laufenden bleiben. Besonders Ihnen, Herr General, moechte ich nochmals raten, ruhig und besonnen zu bleiben und sich moeglichst nichts anmerken zu lassen. Es soll fuer niemanden erkennbar sein, wie aufgebracht Sie ueber die politische Entwicklung sind. Am besten, Sie tun, als ob Sie treu zur Verfassung stehen. Dann haben Sie sogar die Chance, im Amt zu bleiben. Die neue Regierung wird anderes zu tun haben, als sich mit der Armeefuehrung anzulegen.



4.Szene

Im Wald. Wehler und ein Bandit.

WEHLER Ich weiss nicht, warum ihr mich hier festhaltet. Was das bringen soll.
BANDIT Du hast gelogen.
WEHLER Luege. Das ist ein grosses Wort. Wie Wahrheit.
BANDIT Wahrheit ist wohl das groessere von beiden.
WEHLER Haeltst die Fahne der Moral hoch, nicht wahr. Aber du hast es leicht.
BANDIT Und du? Hast es schwer?
WEHLER Sicher. Was glaubst du, was ein Luegner aufpassen muss.
BANDIT Eine Luege ist im Grunde immer das Eingestaendnis eines Fehlers. Ist es das, was du sagen willst? Selbst wenn der Belogene ihr Glauben schenkt.
WEHLER Ich haette das nicht besser formulieren koennen. Daher sage ich auch niemals Luege. Ich sage Variation, Interpretation der Wirklichkeit. Pragmatismus. Wobei mir die Wirklichkeit mehr bedeutet als die doch letztlich immer triviale, eindimensionale Wahrheit, die meist auf Hypothesen beruht, Vereinfachungen und eben nur wahr zu sein behauptet und sonst nichts. Die aber um so tiefer faellt, wenn sie feststellt, dass sie sich mit der Wirklichkeit nicht zur Deckung bringen laesst. Es geht ihr wie der ledigen Jungfrau nach dem Geschlechtsverkehr. Sie hat Angst. Sie weiss nicht: Ist sie schwanger? Ist sie HIV-infiziert?
BANDIT Ihr Pragmatiker habt es da leichter.
WEHLER So ist es. Wir benutzen Praeservative. Um im Bild zu bleiben. - Aber sind wir nicht im Prinzip alle Pragmatiker? Bedienen wir uns nicht alle taeglich der Luege, um das Miteinander ertraeglicher zu machen? Wird zum Beispiel die Jungfrau ihren Eltern die Wahrheit gestehen? Ich glaube nicht.
BANDIT Dein Gleichnis scheint mir, gelinde gesagt, etwas abwegig.
WEHLER Wieso? Wir befinden uns in genau derselben Situation. Der Vorrang der Wirklichkeit vor der Wahrheit. Die Jungfrau versteht das, nach ihrem anfaenglichen Patzer, sofort. Die anderen koennen sich natuerlich damit troesten, dass sie sich in guter Gesellschaft befinden. Schon die alten Philosophen haben das nicht auseinanderhalten koennen.
BANDIT Was?
WEHLER Vernunft und Wahrheit. Sex und Schwangerschaft. Erst der moderne Mensch, die moderne Wissenschaft hat sich fuer das Primat der Wirklichkeit entschieden. Weil sie sich der Beschraenktheit ihrer Hypthesen bewusst sind.
BANDIT Das ist der Unterschied zwischen uns. Ich suche nach einer Synthesis von Wahrheit und Wirklichkeit.
WEHLER Immer noch.
BANDIT Noch immer.
WEHLER Dein Fehler. Ihr seid bei Hegel stehen geblieben; wir dagegen sind ueber ihn laengst hinaus. Wir interessieren uns weder fuer die Befindlichkeiten des Weltgeistes noch fuer eure Parolen.
BANDIT Fuer Mord interessiert Ihr Euch schon.
WEHLER Vielleicht. (schweigt)
BANDIT Kommst du ins Schwitzen?
WEHLER Ih wo. Auch der Tod gehoert schliesslich zur Realitaet. Man muss ihm Rechnung tragen. - Aber glaub mir, wir haetten euch nicht angelogen, wenn wir Hoffnung gehabt haetten. Wer ohne Hoffnung ist, luegt. Wer luegt, gewinnt Hoffnung aus der Luege, meistens jedenfalls, weil die, die luegen, sich vom Luegen etwas versprechen. Luegen ist sozusagen menschlich, die Wahrheit ist tierisch.
BANDIT Nicht jede Wahrheit und nicht jede Luege.
WEHLER Tu bloss nicht so.
BANDIT Und was habe ich, als Belogener, von deinem Gestaendnis?
WEHLER Zunaechst einmal nichts. Und ich gebe auch zu, dass dir meine Luegen geschadet haben. Du hast die falschen Folgerungen gezogen, die falschen Entscheidungen getroffen.
BANDIT Um ein Haar waere ich umgekommen bei der beruehmten Militaeroperation. Ich habe mehrere gute Leute verloren.
WEHLER Du musst vorsichtiger sein. Nicht alles glauben, was man dir erzaehlt.
BANDIT Hoer mal, wenn mir jemand wieder und wieder im Brustton der Ueberzeugung vortraegt, er habe das Geld ueberwiesen, auch auf Nachfrage darauf besteht, und sogar Kontoauszuege faelscht. Wenn er dann noch falsche Zeugen anschleppt ...
WEHLER Was haetten wir tun sollen?
BANDIT Die Wahrheit sagen. Spaetestens in dem Moment, wo klar wird, dass es um Leben und Tod geht. Dass der kleine Vorteil, den ihr dadurch gewonnen habt, bedeutungslos ist.
WEHLER Wir haben nicht zu Ende ueberlegt, gut, das will ich zugeben. Wir haben gedacht, wenn wir unsere Luege oft genug erzaehlen, wird sie von selber wahr, weil es im Bewusstsein der Leute dann nur noch die Luege gibt, und kein Platz mehr ist fuer die Wahrheit, und kann auch niemandem schaden. - So ist das eben in der Stadt. Da wird viel geredet und hin und her meditiert und am Ende waescht eine Hand die andere. Vielleicht haettest du beruecksichtigen sollen, dass wir nicht von hier sind. Eine gesunde Skepsis gegenueber den Weissen.
BANDIT Skepsis? Wenn ihr mir nach allen Regeln der Kunst etwas vormacht! Ihr habt euch soviel Muehe gegeben. Mit demselben Aufwand haettet ihr ... was weiss ich ... das Geld ueberweisen, grosse Reformen in Gang setzen koennen.
WEHLER Unsere Kultur ist anders, begreif das doch. In unserer Kultur ist die Luege kein Aufwand.
(Sie sehen sich lange an. - Ein zweiter Bandit tritt auf.)
ZWEITER BANDIT Commandante.
BANDIT Was ist? (Der zweite Bandit fluestert dem Commandante ins Ohr. Dieser steht auf.)
BANDIT (zu Wehler:) Du kannst gehen.
WEHLER Wie das?
BANDIT Sie haben das Loesegeld bezahlt.



5.Szene: Tschou und seine Frau Katharina beim Fruehstueck

KATHARINA Ihr muesst auf euch aufpassen.
TSCHOU Ihr?
KATHARINA Du und Lumumba.
TSCHOU Ich weiss. Was glaubst du, warum ich jetzt 4 Leibwaechter habe?
KATHARINA Ach die.
TSCHOU Richtige Kleiderschraenke. Wenn die sich vor mich stellen, sehe ich nichts mehr.
KATHARINA Nachts habe ich Albtraeume.
TSCHOU Was traeumst du?
KATHARINA Unseren Untergang.
TSCHOU Wenn wir nicht handeln, werden wir untergehen. Vaterland oder Tod.
KATHARINA So schlimm? Helmer sagt doch ...
TSCHOU Helmer! Auf den hoerst du? Schwaetzer und Beschwichtiger. Lullt die Leute ein und sitzt die Probleme aus. Und seine Propagandamaschine streut den Menschen Sand in die Augen.
KATHARINA Er hat euch in Ruhe gelassen.
TSCHOU Weil er alles laufen laesst: die Wirtschaftskrise, das soziale Elend, die Bevoelkerungsexplosion.
KATHARINA Er versucht, die Guerilla und die Todesschwadronen zu entwaffnen.
TSCHOU Willst du ihn verteidigen?
KATHARINA Natuerlich nicht. Ich meine nur, ihr wart in relativer Sicherheit. Jetzt schickt ihr euch an, die Macht zu uebernehmen. Und ich habe meine Albtraeume.
TSCHOU Wie sind denn deine Albtraeume?
KATHARINA Ein Aufstand. - Ein grosses Feuer. - Die Amerikaner.
TSCHOU (unwillig) Die Amerikaner.
KATHARINA Das Volk zerfleischt sich.
TSCHOU Das Volk ist auf unserer Seite.
KATHARINA Soldaten.
TSCHOU Hoer auf. Hab keine Angst! Unsere Lage war noch nie ungefaehrlich. Wenn ich daran denke, wie wir angefangen haben.
KATHARINA Ich denke oft daran.
TSCHOU Jetzt sind wir viel mehr als damals. Eine grosse Bewegung.
KATHARINA Als Anfuehrer bist du besonders gefaehrdet. Wenn ich an die Wahlveranstaltungen denke, mit den Massen an Leuten.
TSCHOU Unsere Anhaenger. Das Land braucht den Wechsel. Im naechsten Winter, da muss man kein Hellseher sein, wird die Versorgungslage kritisch. Und was tut der Praesident? Laesst alles laufen. Wirtschaftet den Reichen weiter in die Weste und ueberlaesst unsere Bodenschaetze auslaendischen Konzernen.
KATHARINA Die werden sich bedanken, wenn ihr gegen sie vorgeht. Darum fuerchte ich mich ja.
TSCHOU Die werden sich daran gewoehnen. Jetzt oder nie, meint dein Bruder. Er kann es kaum abwarten.
KATHARINA Und du?
TSCHOU Ich muss wohl abwarten.
KATHARINA Du hast ihm den Vortritt gelassen.
TSCHOU Ja, ja.
KATHARINA Und bist mir gram, weil ich dir zugeredet habe.
TSCHOU Nein, nein.
KATHARINA Glaub mir, es war vernuenftig so.
TSCHOU (hoehnisch) Weil das Volk - und seine Schwester - ihn mehr liebt als mich.
KATHARINA Hoer auf.
TSCHOU Warum? Warum soll ich dich schonen, wenn die Enttaeuschung mich von innen auffrisst?
KATHARINA Er hat versprochen, dir in 3 Jahren das Feld zu ueberlassen.
TSCHOU Ob er sich daran haelt?
KATHARINA Wieso nicht?
TSCHOU Er ist beliebter als ich. Auch in der Partei ist er beliebter. Und wird es vermutlich bleiben.
KATHARINA Traue ihm. Er ist mein Bruder.
TSCHOU Ja, ja.
KATHARINA Und dein Freund seit vielen Jahren.
TSCHOU Ja, ja.
KATHARINA Seid ihr nicht wie Brueder?
TSCHOU Das haettest du gern.
KATHARINA Ich denke oft an die Zeit, als wir uns kennengelernt haben, und sehe euch vor mir, in euren zerschlissenen Jeans und Wollpullovern, zusammen ueber Flugblaetter und Resolutionen gebeugt.
TSCHOU Schoene, glueckliche Zeiten. Wir glaubten an unsere Bestimmung. Hatten Ueberzeugungen.
KATHARINA Er hat sie noch immer.
TSCHOU Meinst du?
KATHARINA Ja.
TSCHOU Wie naiv du bist.
KATHARINA Er hat dir immer geholfen.
TSCHOU Er ist mir immer eine Nase voraus gewesen. Immer der erste.
KATHARINA Hinter Zornig.
TSCHOU Zuletzt hat ihn Zornig ganz schoen zappeln lassen.
KATHARINA Wenn du willst, spreche ich mit ihm.
TSCHOU Worueber.
KATHARINA Ueber dein Misstrauen.
TSCHOU Auf keinen Fall! Und bitte: ich misstraue ihm nicht. Alles nur Neid ... ich waere selber gern die Nummer eins.
KATHARINA Es hat auch Vorteile, etwas weiter hinten zu stehen statt in der Schusslinie, glaub mir.
TSCHOU Vorteile? Was meinst du?
KATHARINA Zornig. Es ist ihm nicht bekommen, euer Vorsitzender zu sein.
TSCHOU Schon wahr.
KATHARINA Sein Tod bis heute ungeklaert. Geschweige denn: gesuehnt. Und kann dich gleichfalls treffen. Der Moerder laeuft noch frei herum. Die Polizei scheint hilflos.
TSCHOU Oder an Aufklaerung nicht interessiert.
KATHARINA Um so mehr fuerchte ich mich.
TSCHOU Wer weiss. Kann genauso gut ein Verrueckter gewesen sein. Vor sowas ist kein Prominenter sicher.



6.Szene

Sitzung des Parteivorstandes. Anwesend: Eckermann, Wehler, Lumumba, Tschou, Inninger, Baumann, Guillaume. Inninger etwas isoliert sitzend. Eckermann und Lumumba tuscheln. Wehler und Inninger sitzen schweigsam.

TSCHOU (zeigt Baumann seine Schuhe) Guck dir die mal an. Wie lackiert.
BAUMANN Das muss der Neid dir lassen.
TSCHOU Schuhputzer. Vor'm Alpha-Hotel. Keinen Pfennig wollte der Mann. Sich stattdessen schier umbringen, mir etwas Gutes zu tun.
BAUMANN Endlich sind wir wer. Beliebt wie Oskar.
TSCHOU Frueher der Nation ihre Parias.
INNINGER Nation ihre Parias. Das ist gut.
BAUMANN Ihre Fussabtreter.
TSCHOU Die Helmer immer schoen klein gehalten hat.
BAUMANN Am Nasenring herumgefuehrt.
TSCHOU Fuer alles moegliche verantortlich gemacht.
LUMUMBA Wir waren unbeliebt.
BAUMANN Verhasst.
TSCHOU Im Alpha hat uns kein Schuhputzer auch nur angeguckt.
BAUMANN Boykottiert hat man uns. In den Medien madig gemacht. Verfolgt.
LUMUMBA Ich weiss noch vor Jahren. Als Zornig von einer Frau ins Gesicht gespuckt wurde.
BAUMANN Fand Tiemeier ganz normal und angemessen.
INNINGER Zornig war der groesste. So einen Mann werden wir nie ...
ECKERMANN Warum? Unsere Partei ist doch jetzt viel beliebter als damals.
INNINGER Wir haben unseren Erfolg hauptsaechlich seinem Ende zu verdanken. (Schweigen)
WEHLER Das sehe ich anders. Unser Erfolg beruht in erster Linie auf unserer gemeinsamen politischen Arbeit.
TSCHOU Und der Wirtschaftskrise, mit der Helmer nicht fertig wird. Die Menschen haben das Gefuehl, auf schwerer See unterzugehen. Auf einem steil abschuessigen Pfad den Halt zu verlieren. Und dass die Konservativen ihnen nicht mehr helfen koennen.
BAUMANN Weil sie verbraucht sind.
TSCHOU Von Skandalen zerschlissen.
BAUMANN Ohne Visionen.
LUMUMBA Daher koennen sie auch keine Zuversicht verbreiten.
TSCHOU Mutlosigkeit liegt wie ein bleierner Vorhang ueber dem Land.
BAUMANN Here comes the sun.
TSCHOU Die glorreichen Sieben.
BAUMANN Der Schimmer am Horizont.
TSCHOU Von allen geliebt.
BAUMANN Wir richten die Kraftlosen auf.
ECKERMANN Unterstuetzen die Notleidenden.
WEHLER Verhelfen den Betrogenen zu Ihrem Recht.
INNINGER Den Unterprivilegierten zu Anstand und Wuerde.
TSCHOU Speisen die Hungernden.
LUMUMBA Waermen die Frierenden
GUILLAUME Begluecken die Ungluecklichen.
BAUMANN Und werden dafuer geliebt.
TSCHOU Bewundert.
BAUMANN Verehrt.
TSCHOU Ein Gefuehl, an das ich mich gewoehnen kann.
ECKERMANN Ihr solltet sehen, was sie mit Lumumba machen. Die Fuesse kuessen wuerden sie ihm am liebsten, wenn sie koennten. Ihn vor lauter Liebe erdruecken.
LUMUMBA Das nimmt schon Formen an.
BAUMANN Und die Medien. Wie die uns mit Glacehandschuhen anfassen.
TSCHOU Dieselben Leute, die frueher gegen uns gehetzt haben.
LUMUMBA Wir waren klug beraten, uns mit den Medien gut zu stellen.
TSCHOU Heisst nicht, vergeben und vergessen.
WEHLER Nein. Manch einer wird sich noch wundern, zu gegebener Zeit.
BAUMANN Tiemeier.
TSCHOU Der wird sich auch noch umorientieren.
BAUMANN Ich denke eher, mit dem werden wir noch lange Schwierigkeiten haben. Und mit einigen anderen auch.
LUMUMBA Moeglich. Trotzdem sind die Medien heutzutage der Koenigsweg zum Erfolg. Ohne sie waeren wir nicht halb so populaer.
WEHLER Und ohne unsere Beharrlichkeit.
LUMUMBA Und Aufrichtigkeit.
ECKERMANN Und Lumumba.
LUMUMBA Wir muessen extrem vorsichtig operieren. Ein Skandal, eine negative Schlagzeile, und wir stuerzen ab.
ECKERMANN Verlieren Prozente.
TSCHOU Und erholen uns vor den Wahlen nicht mehr.
LUMUMBA Genau davor habe ich Angst. Dass unser Gegner noch was in petto hat.
TSCHOU Solange wir selbst keine Skandale produzieren.
WEHLER Momentan nichts in Sicht.
LUMUMBA Das Militaer muss stillhalten.
WEHLER Unsere Gegner sind in allen Bereichen in der Defensive. In so einer Situation wagt niemand einen Putsch.
TSCHOU Es darf keine Wahlmanipulationen geben.
WEHLER Die UNO-Beobachter werden dafuer sorgen, dass alles mit rechten Dingen zugeht; davon bin ich ueberzeugt.
TSCHOU Auch auf dem Lande?
WEHLER Auch da.
LUMUMBA Ziemlich viele Faktoren, die wir nicht beeinflussen koennen.
WEHLER Wir werden siegen.
ECKERMANN Unsere Werte sind wirklich phaenomenal. (holt ein Papier vor)
LUMUMBA Du kannst sie dir gar nicht oft genug ansehen, he?
ECKERMANN In der Wirtschaftspolitik, der Innenpolitik, Bildungspolitik, ueberall bescheinigt man uns mehr Kompetenz. Sogar bei der Verteidigung. Wie du die Amerikaner herausgefordert hast, hat dir viele Sympathien eingetragen. Die Zeitungen sind des Lobes voll.
BAUMANN Journalisten sind Wechselbaelger. Sie schreiben den Machtwechsel nicht nur herbei, sie riechen ihn auch als Erste.
INNINGER Nicht vor den Beamten. Den hoeheren Beamten.
BAUMANN Was ist mit ihnen?
INNINGER Geben, wie ich hoere, massenhaft ihre Parteibuecher ab.
ECKERMANN Kein Wunder, bei solchen Umfragewerten. Schon dumm, wer da weiter auf die alte Regierung setzt.
LUMUMBA Ueberzeugte Beamte waeren mir lieber.
TSCHOU Das kommt schon. Wir werden die Leute durch unsere praktische Politik nachhaltig ueberzeugen. Wir duerfen uns nur keine Fehler erlauben.
WEHLER Das gibt mir das Stichwort. Im Bereich der noerdlichen Wahlkampforganisation sind uns in letzter Zeit schwerwiegende Fehler gemacht worden. (Schweigen)
INNINGER Ist das an mich gerichtet?
WEHLER Der Wahlkampf wird dort oben nicht straff genug gefuehrt.
INNINGER Woran machst du das fest?
WEHLER Ach, einiges. Ich habe mir einiges erzaehlen lassen.
INNINGER Erzaehlen? Warum liest du meine Berichte nicht?
WEHLER Deine Berichte sind unvollstaendig, lieber Inninger. Wir wissen von zahlreichen Unregelmaessigkeiten in deinem Verantwortungsbereich, angefangen bei den lokalen Vorstandswahlen, die Wahlvorbereitung ist viel zu spaet angelaufen, Ueberweisungen an die Distrikte sind zum Teil ueberhaupt nicht angekommen, bis hin zu Problemen bei der Plakatierung. Ausserdem mischen da offensichtlich Leute mit, die in unserer Partei nichts zu suchen haben. Alles im Widerspruch zu den Prinzipien der Neuen Politik.
INNINGER Ihr wisst, wie schwierig die Lage im Norden ist. Unsere Nordsektion ist keine drei Jahre alt.
WEHLER Zeit genug, um eine funktionierende Organisation aufzubauen.
TSCHOU Wir sind mit deiner Arbeit nicht zufrieden, Inninger.
INNINGER Ja und. Was heisst das?
WEHLER Dass wir dich warnen wollen.
TSCHOU Dass deine Arbeit besser werden muss.
WEHLER Du musst sie mit der Neuen Politik unbedingt in Einklang bringen.
INNINGER Aber ihr ... (bringt vor Aufregung nichts heraus)
LUMUMBA Kein Grund zur Panik, Inninger.
WEHLER Fuer diesmal werden wir dich davonkommen lassen.
LUMUMBA Jeder bekommt bei uns eine zweite Chance.




2. Akt

1.Szene

Foyer des Parlamentes. Ein Fernsehsender hat seine Kameras und Interviewtische aufgestellt. Techniker rennen geduckt ueber die Buehne und pruefen die Kabelstraenge. Im Hintergrund stellen sich Anhaenger Lumumbas in Positur und johlen in die Kamera. Der Reporter kaemmt sich die Haare und richtet seine Krawatte, waehrend sein verzweifelt gestikulierender Kameramann nicht verhindern kann, dass eine erregte dicke Frau, die selbstvergessen einem Bekannten zuwinkt, den Reporter von hinten anrempelt.

KAMERAMANN (zischend) Wir sind auf Sendung.
TIEMEIER (spricht, von dem Stoss noch schwankend, ins Mikrofon) Hallo? Hoeren Sie mich?
LAUTSPRECHERSTIMME Ja, Herr Tiemeier, wir hoeren Sie.
TIEMEIER Hallo, hier ist Karl Tiemeier von Telebild im Foyer des Parlamentes. Hinter mir hat sich, wie Sie sehen, eine groessere Menschenmenge versammelt. Frage Sie mich nicht, wie es denen gelungen ist, durch die Sperren hier herein zu kommen. Die Sicherheitskraefte sind offenbar machtlos. Eine 30jaehrige Epoche ist heute abend zu Ende gegangen, ja, und die Anhaenger des neuen Praesidenten wollen sich nicht davon abhalten lassen ... (lautes Rufen, Klatschen, Pfeifen) ... sehe ich vor mir auf dem Monitor, Praesident Helmer hat soeben mit sofortiger Wirkung seinen Ruecktritt von allen Aemtern bekanntgegeben. (der Jubel steigert sich zum Getoese und uebertoent seine Stimme)
LAUTSPRECHERSTIMME Diese Meldung kommt fuer viele von uns nicht allzu ueberraschend. - Koennen Sie sagen, ob Herr Helmer fuer ein Interview zur Verfuegung stehen wird?
TIEMEIER Ich denke nein. Er hat sich auf seinen Landsitz zurueckgezogen und wird heute abend hier nicht erwartet. Wir hoffen aber, wenigstens den Fraktionsvorsitzenden vor die Kamera zu bekommen. (Der Kameramann ruft ihm etwas zu.) Bitte?
KAMERAMANN (zeigt in die Richtung) Lumumba ist da.
TIEMEIER Eben hoere ich ... Ja, wir erwarten in Kuerze den siegreichen Kandidaten und kuenftigen Praesidenten. (Lumumba naehert sich, begleitet von Kleopatra und einem Pulk von Anhaengern und Sympathisanten. Der Laerm nimmt weiter zu. Die Kamera schwenkt zu ihm herueber. Mehrere Leute versuchen, ihm zu gratulieren. Lumumba begruesst Tiemeier und stellt sich mit Kleopatra an der Hand neben ihm auf. Winkt seinen Anhaengern zu.)
TIEMEIER Zuerst einmal herzlichen Glueckwunsch zur gewonnenen Wahl. (Wieder Jubel)
LUMUMBA Danke. (gruesst in alle Richtungen) Vielen Dank.
TIEMEIER (an die Zuschauer) Hier steht also der Wahlsieger. Obwohl seine Partei in allen Umfragen vorn lag, kommt sein Sieg fuer viele von uns letztlich ueberraschend. Schliesslich ist die Opposition in den letzten Jahren nicht gerade durch kompetente Sachvorschlaege aufzufallen, sondern hat es vorgezogen, die Stimmung auf der Strasse aufzuheizen. Herr Lumumba, haben Sie sich ein derartiges Ergebnis in ihren kuehnsten Traeumen jemals vorstellen koennen?
LUMUMBA Zunaechst einmal moechte ich allen danken, die geholfen haben, diesen Wahlsieg zu erringen und ihnen versichern, dass ihre Anstrengungen nicht umsonst gewesen sein werden. Wir werden vor den bevorstehenden Aufgaben nicht zurueckschrecken.
TIEMEIER Das hoert sich fast wie eine Drohung an.
LUMUMBA (verdattert) Eine Drohung?
TIEMEIER An die Adresse der unterlegenen Partei.
LUMUMBA Keineswegs; ich werde mich bemuehen, ein Praesident des ganzen Volkes zu sein, und natuerlich auch diejenigen anhoeren, die uns nicht gewaehlt haben. Aber ...
TIEMEIER Aber?
LUMUMBA Wir haben in unserem Wahlprogramm eine ganze Reihe von Zielpunkten ... das heisst, die Waehler haben unserer Partei ihre Stimme gegeben, weil wir fuer eine bestimmte Politik stehen: ich nenne da nur die Landreform, das Eindaemmen auslaendischer Interessen, und besonders die Beruecksichtigung der sozial Benachteiligten liegt mir am Herzen. Die unteren Schichten haben ein Anrecht auf einen gerechten Anteil am Reichtum der Gesellschaft, sind aber von den Vorgaengerregierungen straeflich vernachlaessigt worden. Es ist das Ziel meiner Partei und ihrer Repraesentanten, die soziale Kluft, die Armutsschere, die sich ueber die Jahre aufgetan hat, in der kommenden Legislaturperiode zu schliessen. (Jubel)
TIEMEIER Eine schoene Rede; aber ...
LUMUMBA Ich wuerde sogar noch weiter gehen und unseren Wahlsieg als einen historischen Auftrag bezeichnen, den man in einem weltgeschichtlichen Rahmen sehen muss. Der Geist des Fortschrittes ist dabei, sich durchzusetzen. (seine Stimme geht im Jubel unter)
TIEMEIER Das ist ein sehr weitgehender Anspruch. Glauben Sie wirklich an diese Form ganzheitlicher Politik.
LUMUMBA Gewiss. Schauen Sie sich die Globalisierung an. Ihre Totalitaet wird sogar von den Neoliberalen beschworen und ist die historische Folge der fortschreitenden Entwicklung der Produktivkraefte.
TIEMEIER Fuerchten Sie nicht, dass es Ihnen geht wie vielen anderen politischen Bewegungen in der Geschichte: dass Sie statt eines utopischen Paradieses einen totalitaeren Albtraum verwirklichen?
LUMUMBA Nein. Wenn Sie fragen: Ist eine Utopie notwendig totalitaer? ist die Antwort: nein, definitiv nein. Ich gebe zu, technischer Fortschritt hin oder her, die Geschichte ist voll von Rueckfaellen in die Barbarei, die sich auch in Zukunft nicht ausschliessen lassen. Gerade da jedoch hilft uns die Utopie. Die Utopie kittet die zersprungene Geschichte zu etwas Grossem, Ganzem, Vorwaertsdraegendem, weil sie quasi ein religioeses Moment enthaelt, ein Moment des Ganz anderen, das ueber die Niederungen der Zeit hinausweist.
TIEMEIER Sind Sie bereit, fuer Ihre Utopie Opfer hinzunehmen?
LUMUMBA Meinen Sie, bei mir persoenlich?
TIEMEIER Nein, ganz allgemein.
LUMUMBA Eine schwierige Frage.
TIEMEIER Ich kann Ihnen sagen, warum ich sie stelle. Ich habe das Gefuehl, dass Sie sich einer Gesinnungsethik verpflichtet fuehlen. Eine Gesinnungsethik nimmt Opfer in Kauf, wenn es dem Grossen, Ganzen dient.
LUMUMBA Was waere die Alternative?
TIEMEIER Verantwortungsethik. Die Verantwortungsethik vermeidet Opfer.
LUMUMBA Ich sehe da in der Praxis keinen Unterschied. Auch ein Verantwortungsethiker muss sich fuer kleinere Uebel entscheiden. Und die sind meist mit Opfern verbunden.
TIEMEIER Der Gesinnungsethiker nimmt, wenn es seinen Zielen dient, auch groessere Uebel in Kauf. Er stellt die Zwecke ueber die Mittel, und vergisst dabei, dass seine eigenen Ideen keinen absoluten Wert haben, sondern in einem historischen Kontext stehen und als solche meist ziemlich beschraenkt sind. Sind Sie ein Gesinnungsethiker, Herr Lumumba?
LUMUMBA Ich weiss nicht, ob ich das beantworten muss.
TIEMEIER Konkret gefragt: es war in letzter Zeit viel von einem Ermaechtigungsgesetz die Rede.
LUMUMBA Von seiten der alten Regierung.
TIEMEIER Koennen Sie sich vorstellen, so ein Gesetz zu verabschieden, wenn es Ihren Zielen dient?
LUMUMBA Nein. Und ich weiss auch nicht, was das alles soll. Ihre Fragen sind voller Vorwuerfe. Geben Sie uns doch erst einmal die Moeglichkeit, zu beweisen, was wir koennen.
TIEMEIER Sie haben die Zweidrittel-Mehrheit knapp verfehlt. Wie wollen Sie die Ziele, die zum Teil auf Verfassungsaenderungen hinauslaufen, durchsetzen?
LUMUMBA Wir haben mit dem Wahlergebnis einen bestimmten Auftrag erhalten und werden ihn in dem Umfang durchsetzen, den das Wahlergebnis uns gestattet.
TIEMEIER Ihr Stellvertreter und designierter Wirtschaftsminister hat gesagt, ich zitiere, es wird alles nicht so heiss gegessen, wie es gekocht wird, und er werde alles tun, um zu verhindern, dass Investoren von der neuen Regierung verprellt wuerden.
LUMUMBA Wann hat er das gesagt?
TIEMEIER Vorgestern. In einem Interview unseres Senders.
LUMUMBA Selbstverstaendlich werden wir diesen Punkt im Auge behalten und alles tun, damit die buergerlichen Schichten sich nicht beunruhigen. Ich moechte aber an dieser Stelle die Finanzmaerkte ebenso wie unsere auslaendischen Nachbarn bitten und ermahnen, die Massnahmen einer demokratisch gewaehlten Regierung zu akzeptieren und nicht in Frage zu stellen. Dasselbe gilt fuer private Fernsehsender wie den Ihren, die uns bekanntermassen ziemlich ablehnend gegenueberstehen.
TIEMEIER Wir legen grossen Wert auf unsere objektive und unabhaengige Berichterstattung.
LUMUMBA So. Da habe ich einen anderen Eindruck. Die Art, wie Sie in den letzten Wochen gegen meine Partei zu Felde gezogen sind ... Aber Sie haben Ihr Ziel nicht erreicht! (ballt die Faust) Jawohl! (Jubel)
TIEMEIER Wir erlauben uns lediglich, kritische Fragen zu stellen ...
LUMUMBA Warum stellen Sie den Anderen keine kritischen Fragen?
TIEMEIER ... und eine dieser Fragen ist, ob es Differenzen zwischen Ihnen und Tschou gibt.
LUMUMBA Ich weiss nicht, wie Sie darauf kommen.
TIEMEIER Tschou hat in dem Interview in Aussicht gestellt, die Reformen nicht 1:1 umzusetzen. Steht das nicht im Widerspruch zu Ihren Vorstellungen und den Prinzipien der Neuen Politik?
LUMUMBA Der Praesident bestimmt die Richtlinien der Politik. So steht es in der Verfassung.
TIEMEIER Also gibt es solche Differenzen?
LUMUMBA Nein.
TIEMEIER Sie wollen Ihren Stellvertreter entgegen Ihrer urspruenglichen Absicht nicht nur zum Wirtschafts- sondern auch zum Finanzmininster machen.
LUMUMBA Das war schon lange im Gespraech. Tschou ist, wie sie wissen, in Wirtschaftsfragen ausserodentlich kompetent.
TIEMEIER ... und wird nach meinen Informationen nun auch noch die Grundsatzabteilung Waehrung erhalten, die bisher im Praesidialamt angesiedelt war. Ist eine derartige Machtkonzentration nicht bedenklich?
LUMUMBA Sehe ich nicht so. Eine Buendelung dieser Fragen in einem Ministerium ist unter den heutigen schwierigen Bedingungen sogar sinnvoll.
TIEMEIER Anders gefragt: koennte Ihnen der Machtmensch Tschou auf die Dauer nicht gefaehrlich werden?
LUMUMBA Nein. Unsere Partei und besonders der Vorstand sind ein eingeschworenes solidarisches Team. Wir haben die Wahl gemeinsam gewonnen und werden auch gemeinsam dafuer kaempfen, unsere Ziele in die Tat umzusetzen.
TIEMEIER Wehler wird kein Ministeramt bekleiden?
LUMUMBA Er hat sich dafuer entschieden, den Fraktionsvorsitz zu behalten. Das ist eine wichtige Aufgabe, als direkter Gegenspieler des Oppositionsfuehrers und als Scharnier zwischen Parlament und Regierung.
TIEMEIER Haengt es nicht vielmehr mit seiner Vergangenheit zusammen?
LUMUMBA Wehler hat mit seiner Vergangenheit gebrochen. In all den Jahren, die er bei uns ist, hat er niemals Zweifel an seiner demokratischen Gesinnung aufkommen lassen.
TIEMEIER Keine Kontakte zu den Guerilla-Gruppen?
LUMUMBA Im Gegenteil. Ich glaube, es gibt unter den demokratischen Fuehrern niemanden, der mehr von ihnen gehasst wird. Warum waere er sonst entfuehrt worden?
TIEMEIER Gibt es ueberhaupt noch Beziehungen zwischen Ihrer Partei und den Guerilleros?
LUMUMBA Nein. Die ehrlichen unter ihnen haben dem bewaffneten Kampf laengst abgeschworen und sich wie Wehler den demokratischen Parteien angeschlossen.
TIEMEIER Besonders Ihrer Partei.
LUMUMBA Wieso wundert Sie das? Unsere Partei repraesentiert die kleinen Leute. Die Guerilla kommt aus dem gleichen Milieu.
TIEMEIER Es wird also keine Amnestie geben?
LUMUMBA Nein.
TIEMEIER Halten Sie es fuer denkbar, dass jemand wie Wehler einmal Praesident wird.
LUMUMBA Rein hypothetisch?
TIEMEIER Im Falle, dass Ihnen und Tschou etwas zustoesst.
LUMUMBA Warum nicht? Er ist ein faehiger Kopf. Wir haben viele faehige Koepfe.
TIEMEIER Welche Rolle hat nach Ihrer Meinung der Mitleidseffekt gespielt.
LUMUMBA Welcher Mitleidseffekt?
TIEMEIER Die Tatsache, dass Ihr urspruenglicher Spitzenkandidat ermordet wurde.
LUMUMBA Ich denke, dass wir auch mit einem lebenden Zornig die Wahl gewonnen haetten.
TIEMEIER Vielleicht nicht in der Hoehe.
LUMUMBA Ich denke doch. Zornig war bei der Bevoelkerung ausserordentlich beliebt.
TIEMEIER Auf jeden Fall wuerden Sie dann jetzt nicht Praesident.
LUMUMBA Das ist richtig.
TIEMEIER Insofern haben Sie von seinem Tod am meisten profitiert.
LUMUMBA Ich muss sagen, dass ich Ihre Frage impertinent finde. Ich weiss, dass Sie und Ihresgleichen von unserem Wahlsieg nicht begeistert sind. Das gibt Ihnen aber keineswegs das Recht, solche Fragen zu stellen. Es ist doch ganz klar, wenn ueberhaupt, haette sich die alte Regierung durch seinen Tod Vorteile ausrechnen koennen. Womit ich niemanden beschuldigen will. Ich stelle nur Tatsachen fest, die sich im Grunde mit unserem Sieg ueberholt haben und finde, wir sollten nach vorne schauen. Zornigs Tod, so tragisch er fuer das Land und unsere Partei ist und so viele Fragen er aufwirft, gehoert fuer mich schon zur Geschichte. Aendern laesst er sich nicht. Wir werden aber alles tun, damit seine Ideen noch lange unsere Arbeit befruchten.
TIEMEIER Tatsache ist doch, dass Sie Praesident werden.
LUMUMBA Um die Nominierung habe ich mich nicht beworben. Die Kandidatur ist mir angetragen worden.
TIEMEIER Tatsache ist auch, dass seine Moerder bis heute unerkannt frei herumlaufen. - Was halten Sie von einem parlamentarischen Untersuchungsausschusses, wie von verschiedenen Seiten vorgeschlagen, unter anderem von Ihrem Parteifreund Inninger.
LUMUMBA Dazu kann ich jetzt nichts sagen. Das wird das neu gewaehlte Parlament entscheiden. Der Staatsanwalt hat, wie Sie wissen, seine Untersuchungen noch nicht abgeschlossen.
TIEMEIER Im Zwischenbericht steht, die Guerilla koennte dahinter stecken. Um das politische System weiter zu destabilisieren.
LUMUMBA Alles Vermutungen. Auch ein rechtsextremistischer Hintergrund wird nicht ausgeschlossen.
TIEMEIER Wie ist es mit Ihnen? Fuehlen Sie sich durch ihre exponierte Stellung und die Emotionen, die im Wahlkampf hochgekommen sind, bedroht?
LUMUMBA Es gibt inzwischen Morddrohungen gegen alle fuehrenden Politiker. Wir muessen solche Dinge wohl hinnehmen. Sie haengen mit der allgemeinen Krise in unserem Land zusammen. Ich hoffe aber, Polizei und Militaer werden ihre Arbeit tun.
TIEMEIER Gerade aus diesem Milieu koennte Ihnen Gefahr drohen. Es war in den letzten Monaten viel von Putschabsichten unter den Militaers die Rede.
LUMUMBA Die nehme ich nicht ernst. Ich habe keinen Zweifel an der demokratischen Gesinnung der Sicherheitskraefte.
TIEMEIER Sie werden die fuehrenden Generaele nicht auswechseln?
LUMUMBA Diejenigen, die loyal zur neuen Regierung stehen, koennen ihr Amt behalten. Natuerlich behalten wir uns vor, den einen oder anderen Betonkopf in den Ruhestand zu schicken.
TIEMEIER Und durch eigene Leute zu ersetzen.
LUMUMBA Das wuerde jede neue Regierung so handhaben.
TIEMEIER General Pinochet?
LUMUMBA Ueber seine Zukunft wird zu gegebener Zeit entschieden. Bis jetzt sehe ich keinen Grund, an ihm zu zweifeln. Seine oeffentlichen Aeusserungen lassen auf eine loyale demokratische Gesinnung schliessen.
TIEMEIER Sie haben bereits unsere Nachbarn erwaehnt. Glauben Sie, die Amerikaner lassen sich einen Eingriff in ihr Oelgeschaeft gefallen?
LUMUMBA Das werden sie wohl muessen. Nach unserer Auffassung kann es sich ein Land, eine Nation auf die Dauer nicht leisten, seine Bodenschaetze von auslaendischen Firmen ausbeuten zu lassen.
TIEMEIER Dann wird es unausweichlich zu Konflikten kommen. Die Oelfirmen sind Schatzkaesten, die die Amerikaner als ihr Erbteil betrachten.
LUMUMBA Auch sie werden lernen muessen, eine demokratisch gewaehlte Regierung zu respektieren.
TIEMEIER (liest auf seinem Display) Eben wird mir angezeigt, dass der Fraktionsvorsitzende und wohl kuenftige Oppositionsfuehrer auf dem Weg hierher ist. Herr Lumumba, haetten Sie etwas dagegen, wenn wir ...
LUMUMBA Ich muss jetzt leider weiter zum staatlichen Fernsehen. - Wenn es Ihnen nichts ausmacht, moechte ich, bevor ich gehe, noch etwas Persoenliches bekanntgeben. Etwas aeusserst Erfreuliches. Meine Verlobung. (Er umarmt Kleopatra. Lauter Applaus. Tiemeier verbeugt sich vor Kleopatra.)
TIEMEIER Ich gratuliere. (zeigt auf Lumumba) Wenn das kein Erfolgsmensch ist. Was sagt Ihr Stellvertreter dazu?
LUMUMBA Was soll er dazu sagen? Er wird uns Glueck wuenschen, nehme ich an.
TIEMEIER Immerhin war er jahrelang mit Ihrer Verlobten befreundet.
LUMUMBA Die beiden haben sich in bestem Einvernehmen getrennt.
TIEMEIER Bestes Einvernehmen? Die Trennungsgeschichte ging doch ganz gross durch die Medien.
LUMUMBA Inzwischen ist er mit meiner Schwester gluecklich.
TIEMEIER Kein Knies zwischen den Vorsitzenden?
LUMUMBA Von meiner Seite bestimmt nicht.
TIEMEIER Und wie sieht es bei ihm aus?
LUMUMBA Hoeren Sie. Ich kenne Tschou schon sehr lange. Wir haben uns in der Jugendorganisation unserer Partei kennengelernt und sind seither die besten Freunde, die sich in allem hundertprozentig vertrauen. Er haette mir bestimmt gesagt, wenn ihm meine Absichten nicht passen.
TIEMEIER Wenn er etwas gesagt haette, haetten Sie sich dadurch von Ihrem Vorhaben abbringen lassen?
LUMUMBA Das ist voellig belanglos. Tschou und ich sind Profis und lassen uns in unserer politischen Arbeit nicht von persoenlichen Angelegenheiten beeinflussen.
TIEMEIER Und was sagt Ihre Verlobte? (wendet sich mit dem Mikrofon an Kleopatra)
LUMUMBA Meine Verlobte wird dazu jetzt nicht Stellung nehmen. Zu dem Thema ist schon alles gesagt worden. (Er zieht Kleopatra von der Buehne.)
TIEMEIER (zu Kleopatra:) Darf ich wenigstens fragen. Wie finden Sie die Situation, ploetzlich im Scheinwerferlicht der Oeffentlichkeit ... weg sind sie.

(Milster naehert sich. Laute Buhrufe und andere Unmutsbekundungen. Er wird mit verschiedenen Gegenstaenden beworfen.)
MILSTER Ich muss schon sagen. Die Sicherheitskraefte lassen sich von dem Mob, der nun schon seit Monaten die Strasse regiert, regelrecht auf der Nase herumtanzen. (Wieder Buhrufe)
WEIBLICHE STIMME (abwertend) Lasst ihn doch reden!
TIEMEIER Glauben Sie, da steckt eine Absicht dahinter?
MILSTER Ich denke schon. Die Art und Weise, wie unsere Partei in der letzten Zeit systematisch angegriffen wurde, und zwar teilweise im woertlichen, handgreiflichen Sinne. Ich meine die gewalttaetigen Demonstrationen, die Ueberfaelle auf unsere Kandidaten und Parteibueros ...
TIEMEIER Von denen sich die Wahlsieger immer distanziert haben.
MILSTER Die koennen schoen reden. Die haben sich das alles doch zunutze gemacht. Eine Kampagne, der sich anscheinend auch die Sicherheitskraefte nicht mehr entziehen koennen. (zeigt auf Lumumbas Sympathisanten) Die duerften gar nicht hier sein. (Wieder Buhrufe) Dann der Nervenkrieg um Zornigs Ermordung. Der ganze Schmutz, der ueber unseren Spitzenkandidaten verbreitet wurde, bis hin zu den Verleumdern, die in den Versammlungen aufgetreten sind und behauptet haben, er haette seine behinderte Frau wegen einer Anderen verlassen oder Unsummen auf Konten ins Ausland geschafft. Fuer mich ist der Wahltag nur die Fortsetzung dieser Schmutzkampagne und gibt uns einen Vorgeschmack auf das, was wir in Zukunft zu erwarten haben.
TIEMEIER Was genau erwarten Sie?
MILSTER Ich meine, dass bewusst Gesetze uebertreten werden und zwar von Leuten, die bald in der Regierung sitzen werden.
TIEMEIER Lumumba hat im Wahlkampf viele Versprechungen gemacht.
MILSTER Versprechungen - ja! Bluehende Landschaften! Allen werde es besser gehen, besonders den sozial Schwachen! Ich weiss nicht, wer das bezahlen soll. Entweder er holt es sich bei den buergerlichen Schichten, die laengst auch nichts mehr zu verschenken haben, oder die Staatsverschuldung wird in astronomische Hoehen schiessen. Auf jeden Fall wird die Wirtschaft darunter leiden. Ganz zu schweigen vom Waehrungsfond, der so eine Politik gar nicht zulassen wird.
TIEMEIER Hinter dem Waehrungsfond stehen die Amerikaner.
MILSTER Schon richtig. Aber wir muessen uns ueber eins klar sein. Wir stehen bei ihnen mit ueber 100 Milliarden Dollar in der Kreide. 100 Milliarden! Ich frage mich, wie die neue Regierung, die bisher nichts unterlassen hat, die Auslaender zu provozieren, damit umgehen wird. - Das Hauptproblem ist doch, dass sie keine Ahnung vom Wirtschaften haben. Sie werden ihre Klientel mit Pfruenden versorgen und die Volkswirtschaft gegen die Wand fahren.
WEIBLICHE STIMME (hysterisch) Die Wirtschaft ist doch schon kaputt.
ZWEITE STIMME Eure Minister haben sich die Fabriken und die grossen Gueter unter den Nagel gerissen.
DRITTE STIMME Wo sind die 100 Milliarden denn geblieben?
VIERTE STIMME Auf Schweizer Nummernkonten. (Die Wut erreicht ihren Hoehepunkt. Einige aus der Menge reissen das Netz, dass die Techniker als Begrenzung gespannt haben, beiseite. Sie fallen ueber Tiemeier und Milster her und begraben sie unter sich. Alle bleiben liegen. Lumumba und Kleopatra kommen zurueck und lassen sich auf den Liegenden nieder. Sie gibt sich ihm hin.)
KLEOPATRA Mein Wahlsieger! - Mein Praesident!



2.Szene

Regierungspalast. Lumumba auf dem Balkon des Praesidentenbueros. Dunkelheit. Auftritt Eckermann.

ECKERMANN Wo bist du?
LUMUMBA Hier.
ECKERMANN Der Strom ist ausgefallen.
LUMUMBA Der Strom faellt oefter aus. Komm mal nach draussen. Man kann die Sterne sehen. Die Milchstrasse. Planeten.
ECKERMANN (tritt zu ihm hinaus) Brrrr. Kalt hier. (knoepft seine Jacke zu)
LUMUMBA Sollen wir reingehen?
ECKERMANN Nein, nein, geht schon. - Wo ist eigentlich die Milchstrasse?
LUMUMBA Heute ganz klar zu sehen: das breite Band, das sich ueber den halben Himmel zieht.
ECKERMANN Ach, der Nebelschleier?
LUMUMBA Genau.
ECKERMANN (tritt naeher an die Bruestung und blickt hinunter) Nichts zu sehen. Oder fast nichts.
LUMUMBA Da unten nicht. Dafuer sieht man die Sterne endlich mal. (Schweigen)
ECKERMANN Man riecht den Fluss.
LUMUMBA Da, Andromeda! Mann, was hell! Und gross! (Eckermann schweigt) Die Sterne haben mich schon immer fasziniert, solange ich denken kann. Sie haben mir Kraft und Hoffnung gegeben: mit ihrer zeitlosen Bestaendigkeit, der Treue, wenn du so willst, mit der sie uns Menschen verbunden sind. Und manchmal, in laengst vergangenen Naechten, wenn ich mir, aus einem Gefuehl des Jungseins und der Staerke heraus, die Zeit gestohlen hatte, fort aus der Vorstadt, der grauen, von lauten, besoffen lichtorgelnden Diskotheken fort, von schraegen Kumpeln in schrottreifen Sportwagen und leichtfertigen Versprechungen fort, die niemals gehalten wurden: um weit draussen auf den Feldern, wo tiefnachts keine Menschen anzutreffen sind - denn die Bauern und Jaeger schnarchen in ihren Hoefen und Huetten und schrecken nur gelegentlich auf, wenn aus den Staellen ein unruhiges Rindvieh sich meldet, oder bloekend der Bock ueber die Lichtung springt, und schlafen schnell wieder ein - die Gestirne mir anzusehen. Doch nicht wie die Astronomen, die ihnen Fakten entlocken, oder die Astronauten, die in Verkennung ihrer Moeglichkeiten in gewaltige Anzuege sich zwaengen und nach jahrelangem harten Training einen Grashupf weit in die Hoehe geschossen werden, um anschliessend als Prominente durch Talkshows zu tingeln, die Astrologen gar, die haarstraeubende Zusammenhaenge zwischen den Sternbildern und Vorkommnissen auf der Erde konstruieren und sie der leichtglaeubigen Masse in Illustrierten feilbieten. Sondern: sie einzuatmen, mich in sie zu versenken und in mich hinein zu lauschen, welche Empfindungen sie bei mir ausloesten und was sie mir ueber den klaeglichen Sinn meines Lebens erzaehlten ... und eben hauptsaechlich als Zeichen, dass wir nicht allein sind. (Langes Schweigen.) Bist du noch da?
ECKERMANN Ja.
LUMUMBA Was denkst du?
ECKERMANN Ich glaube schon, dass wir allein sind. Jeder von uns ist allein.
LUMUMBA Wie kommst du darauf? Schau nach oben! Milliarden Sonnen! Da stehen bestimmt irgendwo Wesen, und schauen von ihren Balkonen auf uns hinab. Gut, sie sehen wahrscheinlich irgendwie anders aus. Aber sehen koennen sie, garantiert. Und einige sind dabei, die begreifen, dass wir hier stehen und zu ihnen herueberblicken.
ECKERMANN Ohne allerdings in Korrespondenz treten zu koennen.
LUMUMBA Nein. Das gibt die Technik nicht her.
ECKERMANN Ist vielleicht ganz gut so.
LUMUMBA Ist auch nicht wichtig.
ECKERMANN Was ist denn wichtig?
LUMUMBA Dass du erkennst, dass in uns allen etwas Gemeinsames ist, EIN Bewusstsein, das uns ueber weiteste Distanzen und durch den kaeltesten Raum mit ihnen verbindet.
ECKERMANN Der Weltgeist.
LUMUMBA Der Geist des Kosmos. Er war damals ausserordentlich wichtig fuer mich.
ECKERMANN Darf ich offen sein?
LUMUMBA Ja bitte.
ECKERMANN Ich hatte nie derartige Anwandlungen. Fuer mich waren die Sterne immer ... wie soll ich sagen ...
LUMUMBA Bedeutungslos?
ECKERMANN Genau. Bedeutungslose Lichtpunkte. Eine Nebensaechlichkeit, die die Nacht vom Tag unterscheidet. Ich kann mich nicht erinnern, wann sie mir zuletzt aufgefallen sind.
LUMUMBA Wovon bist du denn begeistert? Abgesehen von Politik, meine ich.
ECKERMANN Ich habe mich nie fuer die grossen Dinge berauscht; auch in der Politik nicht.
LUMUMBA Beschaeftigst dich nur mit Kleinigkeiten. Bagatellen.
ECKERMANN Wenn du so willst.
LUMUMBA Meine Wiederwahl.
ECKERMANN Zum Beispiel.
LUMUMBA Beruhigt mich zu wissen. - Und im persoenlichen Bereich? Was interessiert dich da? Man sieht dich nie mit einer Frau.
ECKERMANN Vertrauen.
LUMUMBA Vertrauen?
ECKERMANN Die Frage, ob wir, wenngleich allein, einander vertrauen koennen.
LUMUMBA Also, ich vertraue dir hundertprozentig.
ECKERMANN Freut mich zu hoeren. - Und dass Ihr Guillaume und nicht mich fuer den Parteirat nominieren werdet ...
LUMUMBA ... hat nichts, aber auch gar nichts mit fehlendem Vertrauen zu tun. Bitte glaube mir.
ECKERMANN Mit was denn?
LUMUMBA Ich persoenlich saehe dich dort ebenso gern wie ihn. Wenn nicht lieber. - Ich habe mich fuer dich stark gemacht. Es gab aber Widerstaende.
ECKERMANN Welcher Art?
LUMUMBA Es scheint, dass Wehler Guillaume bevorzugt.
ECKERMANN Ich wusste nicht, dass er etwas gegen mich hat.
LUMUMBA Er hat argumentiert, jemand wie Guillaume, der das Vertrauen der drei Vorsitzenden geniesse, sei am besten geeignet. Ausserdem seist du mit deinen Regierungsaufgaben mehr als genug ausgelastet. Ich habe ihm widersprochen, mich aber letztlich nicht durchsetzen koennen.
ECKERMANN Aha. Na, ich werde damit leben muessen. - Ich muss jetzt gehen.
LUMUMBA Was ist los mit dir heute?
ECKERMANN Ach nichts.
LUMUMBA Komm, sag schon. Hat es mit Guillaume zu tun?
ECKERMANN Indirekt schon.
LUMUMBA Also doch.
ECKERMANN Nicht, was du denkst.
LUMUMBA Was denn?
ECKERMANN Du hast nach Frauen gefragt. Es gibt eine, mit der ich mich manchmal treffe.
LUMUMBA Deren Namen du nicht nennen willst.
ECKERMANN Du kennst sie nicht.
LUMUMBA Die du mir nicht vorstellen magst.
ECKERMANN Nein.
LUMUMBA Du wirst deine Gruende haben. Aber was macht dich so unruhig?
ECKERMANN Ich hatte in ihrem Treppenhaus eine Begegnung. Die macht mich unruhig. Ich will nochmal hin.
LUMUMBA Dann geh. Aber pass auf, dass du dich nicht zu sehr begeisterst.



3.Szene

Christine vor dem Fernseher. Es klingelt. Eckermann stuerzt herein.

ECKERMANN Du bist allein?
CHRISTINE Was hast du denn gedacht?
ECKERMANN Ach, nichts. Ich dachte, ein Liebhaber.
CHRISTINE Gerade gegangen.
ECKERMANN Es macht mich wahnsinnig. Die Vorstellung, dass du, sobald ich ...
CHRISTINE Du wirst mir schon zugestehen muessen, dass ich mir mein Geld verdiene.
ECKERMANN Dein Geld verdienen! Auf diese Weise!
CHRISTINE Du hast es von Anfang an gewusst; und akzeptiert.
ECKERMANN Kann sein. Aber jetzt halte ich es nicht mehr aus, dich mit anderen zu teilen.
CHRISTINE Du musst mich nicht teilen. - Nicht wirklich.
ECKERMANN Weil sich meine Gefuehle geaendert haben. Was als Zeitvertreib begonnen hat, als guenstige Gelegenheit, hat sich ueber mein ganzes Bewusstsein ausgebreitet. Ich kann an nichts anderes mehr denken als an mein Unglueck.
CHRISTINE Dein Unglueck?
ECKERMANN Ja. Denn ich erkaufe mir wenige Stunden des Gluecks mit tagelanger Verzweiflung. Wenn ich dich nicht sehe, nicht weiss, was du treibst. Ein Messer, das mir das Herz aus der Seele schneidet. "Und reisst du es heraus, so werd ich dich auf meinem Blute tragen."
CHRISTINE Du hast immer gesagt ...
ECKERMANN Gesagt! Gesagt! Was kuemmert mich mein Geschwaetz von gestern? Mein Zustand gleicht dem eines Schwerkranken, der dringend ein lebensrettendes Medikament benoetigt. Er muss seine Prioritaeten neu ordnen und darf sich nicht um die Nebenwirkungen kuemmern. (Sie schweigt) Hoer zu, ich liebe dich. Ich wuerde alles fuer dich opfern. Geld und Macht, mein Ansehen und meine Stellung; die Sterne wuerde ich dir vom Himmel holen.
CHRISTINE Soviel verlange ich gar nicht.
ECKERMANN Kannst du nicht sehen, wie verrueckt ich nach dir bin und dass wir fuereinander geschaffen sind. Ich moechte dich an meiner Seite haben, und zwar allein.
CHRISTINE Du hast immer gesagt, es ist unmoeglich ...
ECKERMANN Jetzt sage ich, es muss moeglich sein. Wir werden einen Weg finden. Ich gebe dir alles, was du brauchst. Wenn du willst.
CHRISTINE Ob ich will?
ECKERMANN Ja. - Liebst du mich ueberhaupt?
CHRISTINE Ich glaube schon.
ECKERMANN Du glaubst.
CHRISTINE Ich weiss es ...
ECKERMANN Aber ...
CHRISTINE Du selbst hast meine Zweifel genaehrt. In deinen Augen sah ich immer eine Distanz.
ECKERMANN Was wohl kein Wunder ist.
CHRISTINE Noch etwas anderes sehe ich darin.
ECKERMANN Was?
CHRISTINE Eine Art von Hochmut, der ich zu misstrauen gelernt habe. Du kraeuselst dann die Lippen und denkst bestimmt: wie dumm sie ist.
ECKERMANN So wuerde ich nie denken. - Wie kannst du mich so missverstehn?
CHRISTINE Der Text zum Beispiel, den du eben so inbruenstig deklamiert hast.
ECKERMANN Hat nichts mit Klugheit zu tun. In der Schule auswendig gelernt.
"Ich liebe dich mehr als den schoensten Traum.
Stech mir die Augen aus, ich wuerd dich sehn.
Brich mir die Arme ab, ich fasse dich mit meinem Herzen.
Halt mir die Ohren zu, ich kann dich hoeren.
Und ohne Fuesse kann ich zu dir gehn.
Und ohne Mund dir Liebeslieder hauchen.
Zerquetsch mein Hirn, mein Herz wird schlagen.
Und reisst du es aus meiner Brust,
so werd ich dich auf meinem Blute tragen.
Sei mein fuer immer, andrer Lust entsage."



4.Szene

Wehler sitzt am Schreibtisch in seinem Arbeitszimmer. Inninger kommt herein. Wehler steht auf und weist auf den Konferenztisch.

WEHLER Bitte, nimm Platz. (Sie setzen sich)
INNINGER Was fuer ein Tag!
WEHLER (pathetisch) Auf den unsere Partei lange warten musste.
INNINGER Fuer den viele hart gekaempft und gearbeitet haben.
WEHLER Ihr Letztes gegeben.
INNINGER Wer haette das fuer moeglich gehalten!
WEHLER Den Gegner weg gefegt; zu Boden gerungen.
INNINGER Dass man sich fragt, ob er je wieder aufsteht.
WEHLER Oh, aufstehen wird er. Aber wenn wir wachsam sind und eine erfolgreiche Politik machen ...
INNINGER Ich habe mit vielen Parteifreunden gesprochen. Die Freude ist grenzenlos. Du kannst dir nicht vorstellen, was da draussen los ist.
WEHLER (laechelt) Ungefaehr kann ich mir das schon vorstellen.
INNINGER Wer alles ins Parlament gekommen ist! Verdienstvolle, wenn auch vollkommen unbekannte Leute.
WEHLER Jetzt ernten wir die Fruechte jahrelanger Entbehrungen.
INNINGER Wenn Zornig das doch erlebt haette!
WEHLER (vertraulich) Ich weiss, wie du zu Zornig stehst. Er war das Herz und Hirn unserer Partei. Ohne ihn waere sie niemals zur Volksbewegung geworden.
INNINGER Mit ihm waere unser Sieg womoeglich noch hoeher ausgefallen.
WEHLER Vielleicht. Aber wir haben, wie du zugeben musst, auch noch ein paar andere kraeftige Zugpferde.
INNINGER Gewiss.
WEHLER Lumumba. Und auch Tschou.
INNINGER Und dich.
WEHLER Ausgezeichnete, faehige, charismatische Politiker. - Und nicht nur das.
INNINGER (blickt fragend)
WEHLER Politik ist ihr Handwerk. Sie koennen mit den Medien umgehen, mit Lobbyisten verhandeln; sie verstehen sich auf die ganze Palette, auf die Gesetzgebung ebenso wie die geraeuschlosen parlamentarischen Winkelzuege; kurz: alles, was jetzt vor uns liegt. Alles Dinge, mit denen Zornig moeglicherweise Schwierigkeiten gehabt haette.
INNINGER (schweigt)
WEHLER Ich weiss, du hoerst das nicht gern, und ich will seine Verdienste auf keinen Fall schmaelern; aber du weisst, wie er gewesen ist. Ein Schwarz-Weiss-Seher, der seine Feindbilder pflegte.
INNINGER Du sprichst - sehr offen. Ist das die neue Denkungsart?
WEHLER Nein, nein. Rein private Meinung. Ich wuerde das niemals oeffentlich ...
INNINGER Ich werde dich jetzt nicht fragen, ob du seinen Unfall als einen Gluecksfall ansiehst.
WEHLER Wie kaeme ich dazu? Du darfst mich nicht falsch verstehen. Ich wollte lediglich darauf hinweisen, in verschiedenen Phasen braucht eine Partei, wenn sie weiter existieren oder sogar wachsen will, Maenner ganz unterschiedlichen Charakters. Den anderen Parteien ist es mit ihren Gruendungsvaetern genauso gegangen. Gruendungsvaeter sind fuer das Regierungsgeschaeft meist die falschen Leute. Sieh mich an! Wer bin ich denn? Ein Niemand. Ein Fossil, das sich selbst ueberlebt hat und bald abtreten muss; vielleicht schon sehr bald, wenn die Partei es verlangt. Jeder von uns muss irgendwann Opfer bringen. Das haette Zornig nicht anders gesehen. Und ich hoffe, dass auch du dies verstehst.
INNINGER Gewiss ... wenn du es so siehst ... warum nicht?
WEHLER Das ist naemlich der Grund, warum ich dich vor der Sitzung sprechen wollte.
INNINGER Der Grund? Wieso?
WEHLER Ich muss dir mitteilen, es gibt eine Aenderung in der Vorschlagsliste fuer den zentralen Parteirat.
INNINGER Aenderung?
WEHLER Lumumba und Tschou wollen Guillaume auf der Liste haben.
INNINGER (ueberrascht) Guillaume?
WEHLER Ja.
INNINGER Ach so ja, warum nicht.
WEHLER (schweigt)
INNINGER (begreift) Ach, ihr wollt.
WEHLER (schweigt)
INNINGER Mich ausbooten.
WEHLER Bitte. So wuerde ich das nicht nennen. Es ist nur so: Lumumba moechte einen Vertrauten im Parteirat haben, der ihn, wenn er durch Regierungsgeschaefte verhindert ist, gewissermassen vertritt. Nach seinem Erfolg konnten wir ihm das unmoeglich abschlagen.
INNINGER Warum sagt er mir das nicht selbst?
WEHLER Er wird es dir sagen. Gleich auf der Sitzung. Ich will dich nur vorwarnen.
INNINGER Und Tschou? Warum ... Das koennt ihr nicht machen. Das verletzt alle Regeln. Ich werde das nicht hinnehmen.
WEHLER Sei still. Reiss dich zusammen. Ich kann mir vorstellen, wie dir zumute ist. Eine wichtige Aufgabe, eine sicher geglaubte Position; und nun ...
INNINGER Sicher? Ich kann nicht sagen, dass ich mich sicher gefuehlt habe seit Zornigs Tod.
WEHLER Wie meinst du das?
INNINGER Oh, einfach nur, ich fuehle mich nicht mehr wohl mit manchen Parteifreunden.
WEHLER (schweigt)
INNINGER Bin nicht mehr so gut informiert. Werde nicht mehr ueber alles auf dem laufenden gehalten.
WEHLER Damit musst du dich abfinden. Als Zornigs Assistent hattest du natuerlich eine Sonderstellung.
INNINGER Ich verstehe das nicht. Warum ich? Warum nicht jemand anders.
WEHLER Unsere Partei ist ganz auf Lumumba fokussiert. Und Lumumba will seine Kandidaten durchbringen. Das musst du einsehen. Alles andere wuerde uns in die Sackgasse fuehren.
INNINGER Ich bin Lumumba hundertprozentig ergeben. Immer gewesen.
WEHLER Das bezweifelt auch niemand. Gerade darum sagen wir dir: unsere Partei lebt von gegenseitigem Respekt und Disziplin, gerade dann, wenn einer Verantwortung abgeben und ins Glied zuruecktreten muss. So etwas kommt auf allen Ebenen vor, jeden Tag.

(Auftritt Eckermann und Tschou)
TSCHOU Du lachst. Du kannst es dir sicher nicht vorstellen.
LUMUMBA Eine Kuechenplatte? Im Wohnmobil?
(Sie begruessen die beiden anderen und setzen sich ebenfalls an den Konferenztisch.)
LUMUMBA Baumann noch nicht da?
WEHLER Nein.
LUMUMBA Dann warten wir. (wendet sich wieder Tschou zu)
TSCHOU Aber mich stoert das ganz gewaltig. Und Katharina auch. Sie telefoniert ueberall herum und will nicht eher Ruhe geben, bis wir den richtigen Ersatz bekommen.
LUMUMBA Wann seid ihr zum letzten Mal damit weg gewesen.
TSCHOU Darauf kommt es nicht an. Es geht ums Prinzip.
LUMUMBA Ich kenne das. Kleopatra ist genauso. Wir haben drei Mal das Waschbecken wechseln lassen, weil die Arne-Wegener-Armatur, die sie sich in den Kopf gesetzt hat, nicht hineinpasste.
TSCHOU Arne Wegener ist eben was Besonderes. Nicht Standard 0-8-15.
LUMUMBA Wahrlich nicht. Die brauchen sich um Industrienormen nicht zu kuemmern, solange sie Kunden wie Kleopatra haben.

(Auftritt Baumann und Guillaume)
WEHLER Lasst uns anfangen.
LUMUMBA Ich stelle fest: der Parteirat ist vollstaendig, einschliesslich der Kandidaten, die wir heute dazu gebeten haben. Ich schlage vor, dass wir uns zunaechst um zwei wichtige ausserplanmaessige Probleme kuemmern.
WEHLER Welche Probleme?
LUMUMBA Erstens: Eckermann hat mir angetragen, Pinochet zu entlassen. Als Geheimdienstkoordinator sind ihm gewisse Dinge zu Ohren gekommen.
WEHLER Was fuer Dinge?
LUMUMBA Ach, nur Geruechte; nichts konkretes. Er war sich nicht einmal sicher. Jedenfalls, wir sollen das in dieser Runde einmal diskutieren, ob wir ihn nicht prophylaktisch ...
TSCHOU Was soll das bringen? Ausser Unruhe beim Militaer.
LUMUMBA (zu Wehler) Was meinst du?
WEHLER Ich weiss nicht. Natuerlich ist er uns nicht gerade zugetan ... Aber er ist auch kein Scharfmacher. (zu Guillaume:) Was sagst du? Du kennst ihn aus dem Verteidigungsausschuss.
GUILLAUME Keine gute Idee. Ich halte ihn fuer relativ vertrauenswuerdig. Ausserdem hat er bei den Soldaten einen guten Ruf.
LUMUMBA Ich sehe, ihr seid dagegen. Ist mir auch recht. Abgehakt. - Zweitens hat mich Tschou eben darauf angesprochen: er wuerde gern die Aussenwirtschaftsabteilungen beim Verteidigungs- und Aussenministerium bei sich im Wirtschaftsministerium eingliedern.
INNINGER Du hast doch schon die Waehrungsabteilung bekommen.
TSCHOU Ich brauche die Aussenwirtschaft, um alles in einer Hand zu haben.
LUMUMBA Auch ich halte das fuer keine gute Idee. Du musst aufpassen, dass du dir nicht zuviel aufbuerdest.
TSCHOU Wenn ich die Wirtschaft wieder flottkriegen soll, muss ich auch die organisatorischen Voraussetzungen dafuer haben.
LUMUMBA Ich sehe das anders. Das Verteidigungsministerium braucht seine Aussenwirtschaftsabteilung.
WEHLER (legt seine Hand auf Lumumbas Arm) Warum versuchen wir es nicht? Ich sehe durchaus das Potenzial fuer Synergieeffekte, die dein Schwager nutzen koennte. Das letzte Wort hast natuerlich du als Regierungschef.
GUILLAUME Warum vertagen wir das Thema nicht, und ueberlassen Lumumba die Entscheidung?
LUMUMBA Gut, ich verspreche, ich werde darueber nachdenken.
WEHLER Wir sollten dann zu den Parteiratskandidaturen kommen. (sieht Lumumba erwartungsvoll an)
LUMUMBA (raeuspert sich) Lieber Inninger, dir ist ja bereits mitgeteilt worden. Wir haben beschlossen, Guillaume zu nominieren.
INNINGER Wer wir?
LUMUMBA Der Vorstand.
INNINGER Dazu gehoere ich auch. Ich wusste bis eben nichts davon.
WEHLER Jetzt weisst du es.
INNINGER Die letzten Zornig-Getreuen entsorgen, eh? Aber so lasse ich nicht mit mir umspringen. Das mache ich nicht mit.
WEHLER Das letzte Wort hat natuerlich der Parteitag.
INNINGER Der Parteitag. Als ob der eine eigene Meinung haette.
WEHLER Hoer auf, so zu reden.
INNINGER Warum denn? Es stimmt doch.
WEHLER Es koennte dir nicht gut bekommen.
INNINGER (schweigt)
LUMUMBA Bleib gelassen, Inninger. Du musst dir keine Sorgen machen. Ich versichere dir, du wirst auch weiterhin eine wichtige politische Rolle spielen.
WEHLER Solange dein Verhalten einwandfrei und mit den Prinzipien der Partei und der Neuen Politik uebereinstimmt.
INNINGER Uebereinstimmt! Mit den Prinzipien!
TSCHOU Das ist von einem Vorstand wohl nicht zuviel verlangt.
WEHLER Das wird von einem Parteivorstand allezeit erwartet.
INNINGER Was?
TSCHOU Dass er sich zusammenreisst.
LUMUMBA Soll ich deinen Zwischenfragen entnehmen, dass du dies anders siehst?
INNINGER Nein, nein. Schon in Ordnung. An was fuer eine Aufgabe habt ihr denn gedacht?
TSCHOU Das steht noch nicht fest.
WEHLER Du wirst es zu gegebener Zeit erfahren.
TSCHOU Es ist mehreres angedacht.
LUMUMBA Es koennte eine Aufgabe in der Regierung sein.
INNINGER Du meinst: Minister?
LUMUMBA (sieht ihn lange an, Inninger senkt den Kopf.) Durchaus. Ich finde durchaus, dass du ministrabel bist. (zu Wehler) Was sagst du? (zu Tschou) Und du?
ALLE (im Chor) Das ist er.
TSCHOU Oder auf internationaler Ebene ...
INNINGER Du meinst Botschafter?
LUMUMBA Nicht einfach irgendein Botschafter.
TSCHOU Ein besonders wichtiger Botschafter.
LUMUMBA Eines muss allerdings klar sein. Was immer wir uns intern gegenseitig vorwerfen. Wir muessen nach aussen hin Geschlossenheit demonstrieren.
WEHLER Wir brauchen zu allem deine Zustimmung, ein uebereinstimmendes Votum des alten Vorstandes. Und dein Eingestaendnis, gegen die Prinzipien der Neuen Politik verstossen zu haben.




3. Akt

1.Szene

Lumumba beim Fruehstueck in seiner neuen Villa. Ein Diener traegt auf. Draussen schleichen Leibwaechter herum. Kleopatra kommt im Pelzmantel herein, setzt sich an den Tisch.

LUMUMBA Im Pelz fruehstuecken.
KLEOPATRA Irgendwie ist mir kalt heute. Aber man kann ja im Sommer schlecht heizen.
LUMUMBA Willst du nichts essen?
KLEOPATRA Gleich. Ich muss nur erst wach werden. Ausserdem kratzt mich der Mantel.
LUMUMBA So teuer - und kratzt?
KLEOPATRA Ich habe gleich gedacht, Nerz waere das richtige.
LUMUMBA Und hast dir Wuestenfuchs aufschwaetzen lassen.
KLEOPATRA Der Verkaeufer hat mich ganz kirre gemacht. Hat mir das Gefuehl gegeben, Nerz haette was Ordinaeres. Weil ihn heute alle tragen.
LUMUMBA Da kann man nichts machen.
KLEOPATRA Ein zweiter Pelzmantel koennte nicht schaden.
LUMUMBA Jetzt? Es ist Sommer. Bis zum Winter kannst du dir immer noch ueberlegen ...
KLEOPATRA Bitte rede nicht so laut. Du glaubst gar nicht, wie schlecht ich wieder geschlafen habe.
LUMUMBA Wie kommt das?
KLEOPATRA Ich weiss nicht. Meine Spaetsommerdepression, nehme ich an. Ausserdem gefaellt es mir hier nicht.
LUMUMBA Was? Du warst doch Feuer und Flamme fuer das Haus.
KLEOPATRA Mir ist alles zu offen hier. Das viele Glas ...
LUMUMBA Du hast es dir selber ausgesucht. Wegen dir haben wir alles renoviert. Das ganze Glas eingesetzt, Mauern und Ueberdachungen entfernt. Ein Riesenumbau. Licht, Licht, Licht, hast du gesagt; und nun ...
KLEOPATRA Nun gefaellt es mir nicht. Man darf sich doch irren. Hat mir neulich erst Frau Schneider gesagt. Man sollte eigentlich zweimal bauen, hat sie gesagt, weil man beim ersten Haus so viele Fehler macht.
LUMUMBA Frau Schneider redet viel.
KLEOPATRA Mit Einrichtungen kennt sie sich aus. Sie hat Innenarchitektur studiert.
LUMUMBA Muss aber schon lange her sein.
KLEOPATRA Wir haben nicht mal gebaut. Da werde ich mir doch ein paar Aenderungen ueberlegen koennen.
LUMUMBA Wir sind extra aus dem Regierungspalast ausgezogen; wovon mir die Sicherheitskraefte nebenbei bemerkt ...
KLEOPATRA ... dringend abgeraten haben. Ich weiss, das erzaehlst du mir jeden Tag.
LUMUMBA Es ist ein Risiko angesichts der innenpolitischen Lage.
KLEOPATRA Im alten verschimmelten Regierungspalast zu wohnen ist auch ein Risiko.
LUMUMBA Man haette ihn neu einrichten koennen.
KLEOPATRA Wie denn? Aus Murks laesst sich kein tolles Wohnambiente zaubern. Ausserdem haetten sie dir wieder Verschwendung vorgeworfen. Die gediegene Einrichtung deines Vorgaengers sang und klanglos entsorgt, haetten dir Tiemeier und Co vorgehalten. Da lassen wir es lieber wie es ist. Sollen sich die Ministerraete dort treffen und die anderen alle, die meinen, dass sie etwas zu sagen haben.
LUMUMBA Das ist auch so ein Punkt fuer Tiemeier und Co.
KLEOPATRA Was?
LUMUMBA Dass der Ministerrat nichts mehr zu sagen hat.
KLEOPATRA Seit wir verheiratet sind?
LUMUMBA Ja.
KLEOPATRA Ach ja. Ich weiss nicht, ob sie sich trauen, das zu bringen.
LUMUMBA Da kannst du Gift drauf nehmen.
KLEOPATRA Ich glaube nicht. Er hat mir versprochen, in Zukunft ...
LUMUMBA Du hast ihn getroffen?
KLEOPATRA Ich habe ihn angerufen.
LUMUMBA Was hast du?
KLEOPATRA Angerufen.
LUMUMBA WAS? - Und?
KLEOPATRA Ihm meine Meinung gesagt.
LUMUMBA Oh nein!
KLEOPATRA Oh doch! Es kann ja wohl nicht sein, dass sich Zeitungen und Fernsehen in unsere Ehe einmischen.
LUMUMBA Hoer zu, Kleopatra. Ich stehe voll und ganz auf deiner Seite. Das Verhalten dieser Schmierfinken ist erbaermlich. Sie tun alles, um uns bei der Bevoelkerung in schlechtes Licht zu setzen. Aber ...
KLEOPATRA Aber?
LUMUMBA Wenn du ihn anrufst, gibst du ihm neue Munition in die Hand.
KLEOPATRA Welche Munition?
LUMUMBA Weil du dich angeblich in alles einmischt.
KLEOPATRA Ich habe mich nicht eingemischt. Ausserdem sagst du immer, meine Meinung ist dir wichtig.
LUMUMBA Das stimmt auch.
KLEOPATRA Dass du dich gern mit mir abstimmst.
LUMUMBA Stimmt.
KLEOPATRA Weil ich viel politisches Gespuer habe und die Person bin, der du am meisten vertraust.
LUMUMBA Genau.
KLEOPATRA Ich habe ihm lediglich gesagt, wie erbaermlich ich es finde, dass sie darueber spekulieren, wie wir miteinander umgehen. - Ist das verboten?
LUMUMBA Selbstverstaendlich nicht.
KLEOPATRA Und ihn gefragt, warum er diesen Vernichtungsfeldzug gegen deine Politik fuehrt ...
LUMUMBA Nein!
KLEOPATRA ... nachdem er sich anfangs immerhin halbwegs neutral verhalten hat.
LUMUMBA Und? Was hat er gesagt?
KLEOPATRA Was glaubst du? Natuerlich hat er bestritten, einen Feldzug fuehren. Als Journalist sei er verpflichtet, schlechte Politik zu kritisieren. Basta.
LUMUMBA Was hast du denn erwartet?
KLEOPATRA Ich habe ihm dazu das ein oder andere gesagt. Ich hoffe nicht, dass du anfaengst, mir den Mund zu verbieten.
LUMUMBA Wie kaeme ich dazu? Ich bitte dich lediglich, mich zu informieren, bevor du solche Aktionen startest. Wir muessen vorsichtig sein.
KLEOPATRA Und ich bitte dich, mir mehr zu vertrauen. Ich weiss, wie man mit Tiemeier umgeht.
LUMUMBA Komm her. Lass dich ein bisschen knuddeln.
KLEOPATRA (wehrt ihn ab) Heute nicht. Ich habe schlecht geschlafen. Und Vorhaenge muessen her. Dunkelrote. Vielleicht fuehle ich mich dann etwas weniger beobachtet.
LUMUMBA Wenn's sein muss.
KLEOPATRA Es muss sein.
LUMUMBA Tu mir den Gefallen und bestelle sie privat, nicht ueber den Staatsminister.
KLEOPATRA Warum nicht?
LUMUMBA Es koennte Aerger geben?
KLEOPATRA Wir sparen bares Geld.
LUMUMBA Verquickung von privaten und oeffentlichen Interessen.
KLEOPATRA Ach wo. Wie oft benutzen wir das Haus fuer Regierungsgeschaefte!
LUMUMBA Trotzdem, lass es lieber. Wenn Tiemeier Wind davon bekommt.
KLEOPATRA (suesslich) Wie du willst, Liebling.

(Auftritt Baumann. Er reicht Kleopatra einen Blumenstrauss.)
BAUMANN Habt Ihr es schoen hier. Licht und hell. Meine Frau traeumt seit Jahren von sowas.
LUMUMBA Du warst noch nie hier?
BAUMANN Doch, einmal. Kurz nach dem Wahlsieg. Da wart ihr gerade erst eingezogen. Hat sich einiges veraendert seitdem, muss ich schon sagen. Die Handschrift einer kreativen Frau.
KLEOPATRA (erfreut) (zu Lumumba:) Siehst du. (zu Baumann:) Sie sollten oefter kommen, Herr Baumann.
BAUMANN Ich moechte dich in einer Sache angehen (unentschlossen), die mir sehr wichtig ist. (blickt zu Kleopatra)
LUMUMBA Du kannst hier offen sprechen.
BAUMANN (zoegert noch immer)
KLEOPATRA Sprechen Sie, Herr Baumann. Mein Mann hat vor mir keine Geheimnisse.
BAUMANN Es geht um ein Problem, eine Verfehlung meinerseits gewissermassen ...
LUMUMBA Ja?
BAUMANN Also ich fuerchte, Tiemeier hat etwas ausgegraben ...
LUMUMBA und KLEOPATRA (unisono) Was denn?
BAUMANN Ein Schnitzer, zugegeben, der gegen uns verwendet werden koennte.
LUMUMBA Schnitzer?
KLEOPATRA Gegen uns?
BAUMANN Ja. - Ich habe meinem Schwager erlaubt, mit dem Wappen des Ministeriums zu werben.
LUMUMBA Wie das?
BAUMANN Mein Schwager ist Metzger. Das heisst, inzwischen besitzt er mehrere Fleischfabriken, unter anderem im neuen Gewerbegebiet beim Flughafen.
LUMUMBA Ja und?
BAUMANN Ich habe ihm schriftlich bestaetigt, wie gut sein Fleisch ist.
LUMUMBA Wie gut dir sein Fleisch schmeckt? Was soll daran verwerflich sein?
BAUMANN Alles unter dem Briefkopf des Ministeriums.
LUMUMBA Ach so.
BAUMANN Und jetzt ist er in den Futtermittelskandal verwickelt.
LUMUMBA Den Futtermittelskandal?
KLEOPATRA Wie heisst denn Ihr Schwager?
BAUMANN Vullriede.
LUMUMBA und KLEOPATRA (unisono) Du meine Guete.
BAUMANN Genau.
LUMUMBA Du meinst, jetzt glauben alle ...
BAUMANN Genau.
KLEOPATRA Das koennen sie doch nicht meinen.
BAUMANN Das wird der Tenor von Tiemeiers Artikel sein. In Wirklichkeit habe ich von seinen Aktivitaeten absolut nichts gewusst.
LUMUMBA Du meinst, von den Bestechungen?
BAUMANN Ja.
KLEOPATRA Stimmt das wirklich?
BAUMANN Wirklich und wahrhaftig. Bei allem, was mir wichtig ist.
LUMUMBA Was hat denn Tiemeier in der Hand?
BAUMANN Den Briefkopf des Ministeriums und meine Unterschrift.
LUMUMBA Deine Unterschrift?
BAUMANN Auf dem Werbeprospekt.
KLEOPATRA (wiegt bedenklich den Kopf)
LUMUMBA Also, ich wuerde da im Moment keine Angst vor haben.
BAUMANN Heisst das, du stellst dich hinter mich?
LUMUMBA Ich denke ...
KLEOPATRA (tritt einen Schritt zurueck und stoesst Lumumba von hinten an)
LUMUMBA (davon unbeeindruckt) Im Prinzip ja. Ich gehe erstmal von deiner Unschuld aus. Wenn sich allerdings herausstellt ...
BAUMANN Alles, worum ich dich bitte, ist, keine voreiligen Schluesse zu ziehen und mit Entscheidungen abzuwarten, wie sich die Sache entwickelt.
KLEOPATRA (tritt vor und nimmt Baumann beiseite) Bitte, Herr Baumann. Machen Sie sich keine Sorgen. Wir sind gegen Parteikollegen, die sich nichts Strafbares zuschulden kommen lassen, immer hundertprozentig loyal. Wir kennen doch Tiemeier und seine ungerechtfertigten Anwuerfe. Sie muessen uns allerdings zugestehen, dass wir solche Angelegenheiten sehr genau pruefen, da wir es uns nicht leisten koennen, in den Geruch der Korruption zu kommen. Schliesslich sind wir mit der Neuen Politik an die Macht gekommen, Aktion sauberer Staat, alles anders machen als die Vorgaenger usw. - Wenn Sie uns jetzt bitte entschuldigen. Wir erwarten gleich Gaeste, und ich muss noch einiges vorbereiten.
BAUMANN (etwas verdattert) Oh bitte, kein Problem.
LUMUMBA Du musst verstehen, wir sind ein bisschen ueberrascht; aufgestoert, moechte ich sagen. Wir haben schon so mehr als genug Schwierigkeiten am Hals.
BAUMANN Oh bitte, kein Problem. Das wichtigste fuer mich ist, dass ich euch informiert habe und dass ihr mich nicht vorverurteilt.
LUMUMBA Nein, nein, sicher nicht. - Also, wir sehen uns auf der Vorstandssitzung.
BAUMANN Es tut mir wirklich sehr leid. (ab)

(Kleopatra und Lumumba sind wieder allein.)
KLEOPATRA Mir tut's auch leid.
LUMUMBA Sowas. Aber wahrscheinlich ist er unschuldig.
KLEOPATRA Moment mal. Und der Brief? So kannst du da nicht rangehen. Als Praesident musst du aufpassen, den leisesten Hauch von Vetternwirtschaft zu vermeiden. Wenn die Oeffentlichkeit das Gefuehl kriegt, ein Skandal wird vertuscht ... Ich denke, wenn Tiemeier mit seinem Artikel kommt, wirst du ihn opfern muessen.
LUMUMBA Wenn wir Baumann fallen lassen, werden die anderen unruhig und das ganze schoen austarierte System kommt ins Wanken. Wer soll seine Stellung einnehmen? Ein Mann? Eine Frau? Ein Protestant? Ein Katholik? Er muss Wehler, mir und Tschou gefallen. Wie soll das gehen, wo jeder sich mit seinen eigenen Leuten einbunkert und den Freunden des anderen misstraut? - Ach, wie ich meine Arbeit hasse!
KLEOPATRA Ich liebe sie. Bedenke die positiven Aspekte. Wenn du Baumann los wirst, hast du personellen Spielraum, kannst junge, engagierte Leute aus der Fraktion foerdern, Herrn Jung zum Beispiel, die schon lange auf ihre Chance warten und sie gegen Wehler und Tschou in Stellung bringen. Und du beweist Initiative.
LUMUMBA Wenn man es so sieht.
KLEOPATRA So muss man es sehen. Wir duerfen diese Geschichte nicht einfach laufen lassen, soviel steht fest. Wenn Tiemeier loslegt mit seiner Kampagne, musst auch du wissen, was du zu tun hast.
LUMUMBA Trotzdem muessen wir vorsichtig sein, einen wie Baumann vor den Kopf zu stossen. Er ist einflussreicher als du denkst.
KLEOPATRA Das sehe ich nicht so. Er ist doch eher auf dem absteigenden Ast, wuerde ich sagen. Immer freundlich mit Blumen; aber auf dem absteigenden Ast.

(Auftritt Eckermann. Er naehert sich Kleopatra unterwuerfig.)
ECKERMANN Bin ich zu frueh? Seid ihr mit dem Fruehstueck noch nicht fertig? Soll ich spaeter wiederkommen.
LUMUMBA Nein, nein. Komm her. Wir sind schon fertig.
KLEOPATRA Wenn du willst, kannst du mitessen. Ein Broetchen, einen Kaffee?
ECKERMANN Ein Kaffee, bitte. (Sie gibt ihm einen. Er trinkt und lehnt sich entspannt zurueck.) Ich muss sagen, ich finde es gut, dass wir unser taegliches Briefing hier abhalten.
KLEOPATRA Nicht wahr. - Was gibt es denn Neues?
ECKERMANN Ich wuenschte, ich koennte sagen, eine gute und eine schlechte Nachricht.
LUMUMBA Sieht es so schlecht aus?
ECKERMANN Eigentlich brauchst du keinen Geheimdienst dafuer.
LUMUMBA Die Umfragen?
ECKERMANN Im Keller.
LUMUMBA Tendenz?
ECKERMANN Weiter fallend.
LUMUMBA Arbeitslosigkeit?
ECKERMANN Nochmals gestiegen.
LUMUMBA Pinochet?
ECKERMANN Noch immer widerspruechlich. Eine Quelle behauptet steif und fest, er treffe sich regelmaessig mit dem amerikanischen Botschafter, was ich an sich schon als Landesverrat einstufen wuerde.
LUMUMBA Vertrauenswuerdig?
ECKERMANN Die Quelle? - Ich glaube nicht. Mehrere Militaers, die ich fuer loyal halte, sagen, er hat seine politischen Ambitionen aufgegeben.

(Auftritt Wehler. Lumumba springt auf, eilt ihm entgegen.)
LUMUMBA Gut, dass du heute morgen dabei bist.
WEHLER (brummelt unverstaendlich) ... dein Kuechenkabinett
KLEOPATRA (laechelt) Einen Kaffee, Herr Wehler?
WEHLER Nein, danke. Heute schon zuviel gehabt. Bin seit 5 auf den Beinen.
ECKERMANN Du kennst die Umfragen?
WEHLER Sie scheren mich nicht; aber wundern tun sie mich auch nicht. Was willst du von mir?
LUMUMBA Es geht darum, uns mal im kleinen Kreis ueber das Ausmass der Schwierigkeiten klarzuwerden und Gegenmassnahmen zu beraten.
KLEOPATRA Es sind ja nicht nur die Umfragen. Wenn Hausfrauen auf die Strasse gehen ...
WEHLER (geringschaetzig) Unternehmergattinnen.
LUMUMBA So viele Unternehmer gibt es gar nicht.
WEHLER (grimmig) Von unseren Feinden gesteuert.
LUMUMBA Der Unmut und die Demonstrationen haben ein Ausmass angenommen ...
WEHLER Das bestreite ich gar nicht.
LUMUMBA ... das selbst vom oeffentlichen Fernsehen nicht mehr ignoriert werden kann. Schnurre hat mich angerufen. Er wird langsam nervoes.
WEHLER Wozu haben wir ihn zum Intendanten gemacht? Schoenwetterkandidaten gab es genug.
LUMUMBA Er kriegt Druck von der Nachrichtenredaktion. Er meint, jemand koennte ihn sogar anzeigen, weil er seinen Informationsauftrag nicht erfuellt. Wenn Tiemeier damit dauernd die erste Seite aufmacht ...
LUMUMBA Fuer den ist es natuerlich ein gefundenes Fressen. Er hat vom ersten Tag darueber berichtet.
KLEOPATRA Nach meiner Meinung hat er das ganze ueberhaupt erst ins Rollen gebracht.
WEHLER Genau. Eine inszenierte Kampagne. Und wir selber liefern die Munition dazu.
LUMUMBA Man sollte ihn zum Schweigen bringen.
WEHLER Hinter Tiemeier steht Marschall.
LUMUMBA Und der ist Amerikaner. Das war von Anfang an das Problem. Tiemeier und Marschall sind offene Flanken.
KLEOPATRA Die wir endlich schliessen muessten. (zu Eckermann:) Lass doch mal pruefen, wie weit wir rechtlich gehen koennen. Lizenzentzug usw.
ECKERMANN Ich hab's notiert.
LUMUMBA (zu Wehler:) Was haeltst du davon?
WEHLER Ach, Tiemeier, die Medien, alles letztlich nicht so wichtig. Das beste waere, wenn unsere Wirtschaftspolitik endlich anschluege. Die Leute haben uns gewaehlt, damit wir die Arbeitslosigkeit beseitigen. Daran werden wir gemessen. Stattdessen steigt sie wieder.
ECKERMANN (blickt in seine Akten) Wir erwarten neue Vorschlaege vom Wirtschaftsminister zum fuenfzehnten fuenften.
LUMUMBA Der! Sperrt sich doch gegen alles. Statt die Bodenreform in Angriff zu nehmen, was uns bei der Landbevoelkerung bestimmt weiterhelfen wuerde, die alten Strukturen zerschlagen, die fuer die Rueckstaendigkeit verantwortlich sind, behauptet er, darunter wuerden die grossen, produktiven Betriebe am meisten leiden. Als ich ihm neulich sagte, wir koennen die Gueter, die einen gewissen Produktivitaetsgrad aufweisen, von der Reform ausnehmen, ist er mir fast an die Gurgel gegangen. Neiein, die duerfe man auf keinen Fall verunsichern. Sonst wuerden sie statt zu investieren, ihre Profite ins Ausland bringen. Genau dasselbe Denken wie bei den Konservativen, sage ich euch. (zu Wehler:) Das ist auch der Hauptgrund, warum ich dich heute eingeladen habe. Du hast einigen Einfluss auf ihn.
WEHLER Ich glaube, du ueberschaetzt mich. Er ist DEIN Schwager.
LUMUMBA In letzter Zeit, das wirst du bemerkt haben, ist unser Verhaeltnis ziemlich abgekuehlt. Ueber die Verstaatlichung der Oelgesellschaften laesst er auch nicht mit sich reden. Mauert seit Monaten. Dann steigt er aus, sagt er. Macht nicht mehr mit. Dabei steht es gross im Parteiprogramm.
WEHLER Ich bin da auch nicht von ueberzeugt. Du selber hast mir kurz nach der Wahl gesagt, du willst das gar nicht. All die populistischen Forderungen, hast du gesagt.
LUMUMBA Aber jetzt sehen wir, dass wir so nicht weiterkommen. Jetzt steht uns das Wasser bis zum Hals. Jetzt muss etwas geschehen. Es kann nicht sein, dass wir drei, vier Gueter enteignen und unseren eigenen Leuten zuschanzen und die Landarbeiter gucken weiter in die Roehre.
WEHLER Wenn du damit auf Tschou und mich anspielst. Uns fehlte etwas zum Repraesentieren, auslaendische Besucher und Delegationen empfangen. Du hast deinen Regierungspalast. Und eure Villa ist auch nicht zu verachten.
KLEOPATRA Ich verstehe gar nicht, wo euer Problem liegt. Lumumba ist der Regierungschef. Er ist gewaehlt worden ist und sollte die Richtung der Politik bestimmen.
WEHLER Unsere Abgeordneten sind auch gewaehlt worden. Und sie haben in ihren Wahlkreisen fuer die Regierungspolitik gerade zu stehen.
LUMUMBA Die Abgeordneten erwarten genau wie unsere Waehler, dass wir unser Versprechen einloesen und die Landreform in Angriff nehmen.
WEHLER Nicht alle. Einige haben gute Kontake zur Industrie und zum Grossbauernverband, die sie nicht aufs Spiel setzen wollen. Zu recht, wie ich finde. Und ich glaube auch, dass manches, was Tschou als Wirtschaftsexperte sagt, Hand und Fuss hat. Dass wir aufpassen muessen, existierende Wettbewerbsstrukturen nicht kaputt zu machen.
LUMUMBA Wirtschaftsexperte? Jurist ist er, wie ihr beide.
ECKERMANN (zu Wehler:) Jurist? Ich dachte, du waerst Lehrer.
WEHLER Bin ich auch urspruenglich. Deutsch und Geschichte. - Wir muessen zusehen, einen Kompromiss zu finden. Schliesslich haben wir ausgemacht, dass er dich in zwei Jahren abloest. Nicht auszudenken das Chaos, wenn er alles rueckgaengig macht, was du jetzt durchsetzen willst.
LUMUMBA Ich bin ihm doch schon weit entgegengekommen. Wir haben die Sozialhilfe zum ersten Mal unter die Armutsgrenze gesenkt. Wir! Das nimmt man uns uebel.
WEHLER Du warst dafuer. War sogar dein Vorschlag. Und Kleopatras. Ich weiss noch, wie ich hier mit euch gesessen habe. Sonst kommen wir von den Schulden nie herunter, hat sie gesagt. Tschou hat sich da ziemlich herausgehalten.
KLEOPATRA Dann muss es eben rueckgaengig gemacht werden.
WEHLER Das koennt ihr nicht im Ernst wollen.
LUMUMBA Doch. Dann wird sich ja zeigen, ob er sich heraushaelt.
WEHLER Ich warne euch. Das waere verheerend fuer den Eindruck in der Oeffentlichkeit. Ausserdem weiss ich nicht, ob die Fraktion mitziehen wuerde.
LUMUMBA (veraergert) Du meinst, du weisst nicht, ob du mitziehen wuerdest.
WEHLER Nein, ich meine die Abgeordneten. Sie sind sowieso unruhig wie eine Maeuseherde und schwer zu dirigieren im Moment. Nachdem wir ihre Diaetenwuensche abgeschmettert haben.
LUMUMBA Wie haetten wir das der Bevoelkerung klarmachen sollen?
WEHLER Mir brauchst du das nicht zu erklaeren. Die Bevoelkerung ist, was Politiker angeht, voreingenommen. Das trifft uns genau wie die anderen. Du musst aber auch unsere Leute verstehen.
LUMUMBA Einige sind wie verrueckt hinter dem Geld her.
WEHLER Sie sagen, sie leisten Aufgaben wie Manager in der Industrie und wollen entsprechend bezahlt werden. Oder wenigstens wie oberste Richter. Baumann und Guillaume sind auf ihrer Seite.
LUMUMBA Ich weiss, ich weiss. Aber es ging nicht. Es haette zu weiterem Unmut in der Bevoelkerung gefuehrt.
WEHLER Stattdessen hast du das Parlament veraergert.
KLEOPATRA Bis jetzt haben wir immer noch eine komfortable Mehrheit.
WEHLER Sowas kann sich aendern.
LUMUMBA (lacht) Meinst du das im Ernst?
WEHLER Ich sage nicht, dass wir kurz vor der Spaltung stehen. Noch habe ich meine Herde ganz gut unter Kontrolle; aber wir koennten in der ein oder anderen Abstimmung eine Niederlage einstecken. Als Denkzettel gewissermassen.
KLEOPATRA Im Moment geht es um die Leute auf der Strasse, die uns gewaehlt haben. Du sagst, der Eindruck waere verheerend. Ich aber sage dir: unser Eindruck IST bereits verheerend. Die Glaubwuerdigkeit Lumumbas ...
WEHLER Es wuerde seine Glaubwuerdigkeit nicht erhoehen, wenn er schon wieder seine Meinung aendert und das Gesetz zuruecknimmt. Wobei ich gar nicht sicher bin, ob das kurzfristig ueberhaupt moeglich ist. Rein vom Gesetzgebungsverfahren. Das Geld ist doch laengst verplant.
LUMUMBA Alles eine Sache des politischen Willens. Und ich moechte dich dringend bitten ...
WEHLER (hebt die Haende) Jaaa. Schon gut, gut. Ich ueberlege es mir. Ich werde das Thema in der Fraktion zur Sprache bringen. - Aber ich warne dich. Das ist das letzte Mal, dass ich solche Sperenzchen mitmache. Ich erwarte, dass alle anderen Abmachungen wortgetreu eingehalten werden. Dass insbesondere die Amtsuebergabe an Tschou reibungslos funktioniert. Sonst kann ich fuer nichts garantieren. Hast Du verstanden?

(Auftritt Pinochet. Lumumba erhebt sich kurz. Pinochet verbeugt sich vor den Anwesenden, schuettelt ihre Haende.)
PINOCHET Sie haben mich herbestellt, Herr Praesident.
LUMUMBA Ja, Herr General. Schoen, Sie heute dabei zu haben. Sie werden unser ... Kuechenkabinett bestimmt bereichern.
PINOCHET Ich versichere Ihnen, ich weiss die Einladung zu schaetzen.
KLEOPATRA Einen Kaffee, Herr General? Tee?
PINOCHET Kaffee ja bitte. (Kleopatra laesst vom Dienstmadechen einschenken)
PINOCHET Worum geht es?
LUMUMBA Ich moechte Sie zunaechst bitten, uns aus ihrer persoenlichen Sicht und indem wir den Verteidigungsminister ausnahmsweise aussen vor lassen, mitzuteilen, wie Sie die Lage bei den Waffengattungen einschaetzen.
PINOCHET Die Lage ist, allgemein gesprochen, ziemlich schlecht. Die Einsatzfaehigkeit sinkt bedrohlich. Eigenmaechtigkeiten, laxe Arbeitsmoral und Aufsaessigkeiten nehmen zu. Das alles haengt in erster Linie mit der Motivation der Truppe zusammen. Stichwort: Solderhoehung, die seit 2 Jahren aussteht, und das bei galoppierender Inflation. Die Soldaten koennen ihre Familien kaum noch ernaehren. Wir sollten uns ueber die zunehmende Korruption und das Chaos im Sueden nicht wundern. Ich setze meine ganze Hoffnung auf den diesjaehrigen Wehretat.
WEHLER Die Probleme, die Sie nennen, das heisst, sinkende Kampfmoral usw - koennen Sie die praezisieren?
PINOCHET Ich kann Ihnen eine Reihe von Beispielen dafuer geben, die uns an den Rand der Wehrlosigkeit gefuehrt haben; aber wenn Sie gestatten, moechte ich auf Einzelheiten, die die nationale Sicherheit beruehren, nur im Kreis gewaehlter Repraesentanten eingehen. (blickt zu Kleopatra)
LUMUMBA Sie meinen? ... aber meine Frau ist bei unseren taeglichen Klausuren immer dabei. Sie koennen ganz offen sein.
PINOCHET Ich wiederhole: ich kann solche Informationen in diesem Kreis nicht offenlegen.
ECKERMANN Machen Sie kein Theater, Mann.
PINOCHET Ich halte mich an die Vorschriften.
LUMUMBA Wollen Sie uns veraergern?
KLEOPATRA Lass nur, Lumumba. Ich gehe. Der General hat mich bereits veraergert. (ab)
LUMUMBA Ich weiss nicht, wen Sie damit beeindrucken wollen ...
WEHLER Sie wollten uns etwas ueber die Lage im Sueden sagen, Herr General.
PINOCHET Die Banditen dort werden immer dreister; ueberfallen am hellichten Tag Militaerstationen und ganze Doerfer.
WEHLER Dem muss unbedingt ein Ende bereitet werden.
PINOCHET Ich kann verstehen, dass Ihnen sehr daran gelegen ist. Das Problem ist der Sold, den wir zahlen. Dafuer setzt keiner sein Leben aufs Spiel. Wir koennen die Kampfmoral nur steigern, wenn wir den Sold erhoehen. (Die anderen schweigen.)
ECKERMANN Schlechte Moral ist das eine. Ein Putsch etwas anderes.
PINOCHET Ein Putsch?
ECKERMANN Mir sind Putschplaene zu Ohren gekommen, Herr General.
PINOCHET Was? - Nein. Ich kann Ihnen versichern ...
ECKERMANN Dass es unter jungen Offizieren gefaehrliche Tendenzen gibt, ja geradezu Mode geworden ist, unseren demokratischen Staat, die demokratisch gewaehlte Regierung in Frage zu stellen. Und dass ein bestimmter Oberst unserer Marine dazu aufruft, den Praesidenten zu stuerzen.
PINOCHET Ich kann das nicht bestaetigen. Ich weiss auch nicht, woher Sie das haben. Falls Sie Oberst Foerster meinen: er ist bereits vor 2 Jahren in den Ruhestand gegangen.
ECKERMANN Seither widmet er sich der Politik.
PINOCHET So ist es.
ECKERMANN Und hat nach wie vor grossen Einfluss bei den Offizieren.
PINOCHET Ich denke ja.
ECKERMANN Stimmt es, dass Sie Kontakt zu ihm haben?
PINOCHET Nun, gelegentlich sehen wir uns.
ECKERMANN Wann zum letzten Mal?
PINOCHET Beim Pfingsttreffen der Veteranen.
ECKERMANN Haben Sie mit ihm ueber seine Plaene gesprochen?
PINOCHET Er hat keine Plaene. Nur Meinungen. Seine Meinungen kenne ich, ja.
ECKERMANN Teilen Sie seine Meinungen?
PINOCHET Ist das ein Verhoer?
ECKERMANN Ich moechte lediglich wissen, wieweit Sie mit diesem Mann, der nach meinen Informationen den Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung verlassen hat, uebereinstimmen.
PINOCHET Muss ich die Frage beantworten?
LUMUMBA Ja, bitte.
PINOCHET Natuerlich nicht. Ich habe den Eid auf die Verfassung geschworen. - Aber ich will Ihnen etwas sagen: wenn es aufruehrerische Tendenzen in unserer Armee gibt, so haben die ihre Wurzeln in der schlechten wirtschaftlichen Situation, in der viele Soldaten sich befinden. Gerade die juengeren.
LUMUMBA Wenn es sie gibt, muessen sie abgestellt werden.
PINOCHET Ich sagte ja, die Unzufriedenheit waechst. Meine grosse Hoffnung sind die Solderhoehungen, die im diesjaehrigen Etat ...
WEHLER In diesem Jahr wird es keine Solderhoehungen geben.
PINOCHET Was? (zu Lumumba:) Mir ist zugesagt worden, das heisst der Verteidigungsminister hat mir letzte Woche noch bestaetigt ...
LUMUMBA (leise) Der Verteidigungshaushalt ist revidiert worden.
PINOCHET Das darf doch nicht wahr sein.
WEHLER Es ist wahr. Die Politik revidiert ihre Entscheidungen laufend, das sollten sie lernen. Politik ist ein hoechst komplexes Geschaeft. Wenn Sie sich den Gesamthaushalt ansehen, werden Sie feststellen, nicht nur der Verteidigungsbereich musste Federn lassen.
PINOCHET Aber ich bin im Besitze einer Vorlage ...
LUMUMBA Die vorige Version beruhte auf zu optimistischen Steuerschaetzungen.
PINOCHET Sie haben mir im Fruehjahr persoenlich zugesagt ...
WEHLER Ich weiss gar nicht, warum Sie daraus ein Problem machen, Herr General. Sie haben doch mit den Etatbeschluessen gar nichts zu tun. Es ist auch nicht Ihre Aufgabe, die Politik der Regierung zu kritisieren. Alles, was von ihnen erwartet wird, ist, die gesetzlichen Vorgaben umzusetzen.
PINOCHET Ich kann meine Augen nicht vor Misstaenden verschliessen. Ich bin der Truppe genauso verpflichtet wie meinen politischen Vorgesetzten. Ausserdem hat es die Armee zur Zeit mit aeusserst kritischen Rahmenbedingungen zu tun, nach innen und nach aussen. Waehrend die staatliche Autoritaet von linken und rechten Demonstranten immer mehr in Frage gestellt und die innere Sicherheit von Verbrecherbanden offen herausgefordert wird, warten die Amerikaner nur darauf einzugreifen, falls es Ihnen, Herr Praesident, einfaellt, die Oelindustrie zu verstaatlichen.
LUMUMBA Offene Worte, Herr General. Haben Sie nicht Angst, sie koennten sie ihren Kopf kosten.
PINOCHET Ehrlich gesagt, nein. Entlassen Sie mich doch. Ich weiss allerdings nicht, wie die Truppe darauf reagiert.
ECKERMANN Eine Drohung?
WEHLER (zornig) Sind hier eigentlich alle verrueckt geworden. Ein Regierungschef, der sich jeden Tag etwas anderes ueberlegt. Ein aufsaessiger Offizier, der nur bruchstueckhaft Informationen preisgibt. - Mir reicht es jetzt. (steht auf und geht, Lumumba setzt ihm nach.)
LUMUMBA Wehler, bitte ... (Lumumba und Wehler ab. Pinochet und Eckermann sehen sich an, stehen dann ebenfalls auf und ab)

(Auftritt Kleopatra und Lumumba)
LUMUMBA Sorgen, nichts als Sorgen.
KLEOPATRA Kuechenkabinett! Ich haette ihm den Kaffee am liebsten ins Gesicht geschuettet.
LUMUMBA Gut, dass du es nicht getan hast. Wir koennen es uns nicht leisten, ihn zum Feind zu haben.
KLEOPATRA Ich glaube, er hasst mich.
LUMUMBA Kann schon sein. Frauen irritieren ihn. Mit den weiblichen Ministern redet er nur das noetigste.
KLEOPATRA Ich kann ihn nicht leiden.
LUMUMBA Bitte sei vorsichtig. Wir brauchen ihn. Er hat grossen Einfluss in der Fraktion. Nicht auszudenken, wenn er sich mit Tschou gegen uns verbuenden wuerde.
KLEOPATRA Tschou? Mit so einem? Kann ich mir nicht vorstellen. Beim besten Willen nicht.
LUMUMBA Sie arbeiten eng zusammen. In manchen Fragen enger als mit mir.
KLEOPATRA Trotzdem. Tschou mag den kleine Krueppel nicht.
LUMUMBA Woher weisst du das?
KLEOPATRA Es ist so.
LUMUMBA Er laesst es ihn jedenfalls nicht spueren. Wahrlich nicht. Wie er um Wehler herum schleicht. Das solltest du mal sehen.
KLEOPATRA DAS kann ich mir vorstellen. Tschou kann, wenn er will, ueberaus einnehmend sein.
LUMUMBA Du scheinst ihn noch immer gut zu kennen.
KLEOPATRA Wir sind mal ein Paar gewesen. Da gesteht man sich einiges.
LUMUMBA Ist vertraut miteinander.
KLEOPATRA Weiss wie der andere tickt.
LUMUMBA Nach Jahren noch.
KLEOPATRA Worauf willst du hinaus?
LUMUMBA Trefft ihr euch gelegentlich noch?
KLEOPATRA Nein! Nie!
LUMUMBA Und telefonieren?
KLEOPATRA Nein. Wie kommst du darauf?
LUMUMBA Koennte ja sein.
KLEOPATRA Ich halte Tschou normalerweise auf Distanz. Und auch er geht mir aus dem Weg. Wir wissen doch, wie die Presse so etwas auslegen wuerde.
LUMUMBA Und unabhaengig von der Presse: Wenn bei uns mal wieder der Haussegen schiefhaengt; die Umfragen meine Beliebtheit auf ein neues Tief druecken: kriegst du dann nicht Lust, dich mal wieder zu treffen mit unserem Shooting Star, dem neuen Guenstling der Medien?
KLEOPATRA Natuerlich nicht. Ist doch schon Jahre her. Alles aus und vorbei. - Ausserdem: Wen kuemmern die Umfragen?
LUMUMBA Du legst immer so grossen Wert darauf. Seit ich immer unbeliebter werde, habe ich das Gefuehl ...
KLEOPATRA Was?
LUMUMBA (er will sie beruehren, sie weicht aus) Ach komm.
KLEOPATRA Nein bitte.
LUMUMBA ... dass deine Liebe sich abkuehlt.
KLEOPATRA (schweigt)
LUMUMBA Sag: Liebst du mich noch?
KLEOPATRA Ich habe dich geliebt.
LUMUMBA Ah so?
KLEOPATRA Jedoch in letzter Zeit ...
LUMUMBA Ja?
KLEOPATRA ... hat es so viele Rueckschlaege gegeben. Und ...
LUMUMBA Ja?
KLEOPATRA Du benimmst dich manchmal so merkwuerdig.
LUMUMBA Wie merkwuerdig?
KLEOPATRA Anders als frueher. Mit dir kann man gar nicht mehr reden. Du bist unzugaenglich ... und ... und sprunghaft, aenderst ploetzlich deine Meinung. Haeltst dich an keine Absprache mehr.
LUMUMBA Die momentane Phase ist fuer mich unheimlich schwer. Ich habe das Gefuehl, alles falsch zu machen, von jedem kritisiert und als Rammbock benutzt zu werden. - Da braeuchte ich jemanden, der mich liebt und wieder aufbaut.
KLEOPATRA Ich versuche es ja. Aber zur Liebe kann man sich nicht zwingen.
LUMUMBA Frueher konntest du gar nicht genug von mir kriegen. Fuer jede Kleinigkeit hast du mich gelobt und bewundert. Fuer meine blauen Augen, meine Lachfaeltchen, und fuer meine Vergangenheit. Weil ich gross und schlank und fuer einen Politiker so empfindsam bin. Und was ich sonst noch alles zu bieten habe. (fast sich an die Hose) Besonders im Vergleich zu Tschou.
KLEOPATRA Ach, hoer auf.
LUMUMBA Hoffentlich geht es mir nicht so wie ihm.
KLEOPATRA In der Hinsicht gibt es nichts zu befuerchten. Seine diesbezueglichen Faehigkeiten sind laecherlich.
LUMUMBA Das meine ich nicht?
KLEOPATRA Was denn?
LUMUMBA Dass du mich verlaesst.
KLEOPATRA Da brauchst du keine Angst zu haben. Wirklich nicht. - Gib mir einfach etwas Zeit. Zu Gefuehlen kann man sich nicht zwingen. Vielleicht liegt es an der Jahreszeit.
LUMUMBA Wahrscheinlich.
KLEOPATRA Der Spaetsommer hat mich schon immer deprimiert. Schon in meiner Kindheit. Wenn der Mais hoch stand auf den Feldern, wusste ich, jetzt kommt die Zeit der Schwermut. Ein drohendes Ende ist schlimmer als das Ende selbst, findest du nicht? Und diesmal ...
LUMUMBA Diesmal?
KLEOPATRA Diesmal ist es besonders schlimm. Nachts habe ich Alptraeume. Ich sitze hilflos gefesselt in der Ecke eines dunklen Zimmers. Ein graessliches Monster naehert sich mir. Ich kann ihm nicht entkommen.
LUMUMBA Ich habe auch Alptraeume, das kannst du mir glauben.
KLEOPATRA Dann denke ich wieder: Sei nicht so pessimistisch. Du bist bisher noch immer davongekommen. Tu etwas, nimm dein Schicksal in die Hand.
LUMUMBA Als erstes muessen wir uns vor Wehler in acht nehmen.
KLEOPATRA Pinochet ist genauso uebel.
LUMUMBA Dich derart auszugrenzen.
KLEOPATRA Unausstehlich.
LUMUMBA Ein unglaublicher Affront.
KLEOPATRA Und gefaehrlich, sagt mir mein Gefuehl.
LUMUMBA Er scheint nicht zu begreifen, dass er kurz vor der Abloesung steht.
KLEOPATRA Scheint sich unheimlich sicher zu fuehlen.
LUMUMBA Fuehrt sich immer noch auf, als seien seine Leute am Druecker.
KLEOPATRA Du solltest ihn kaltstellen. Was Eckermann sagte, hoerte sich ziemlich bedenklich an.
LUMUMBA Wenn es stimmt. Wir sollten uns in unserem Urteil allerdings nicht durch seine Manieren beeinflussen lassen.
KLEOPATRA Vielleicht geht er davon aus, dass er sowieso entmachtet wird.
LUMUMBA Fuer den Fall hat er mehr oder weniger verklausuliert mit Putsch gedroht. - Aus dem Blickwinkel waere es nicht klug, ihn zu entlassen.
KLEOPATRA Ich finde, dass du viel zu viel nach rueckwaerts denkst.
LUMUMBA Wie meinst du das?
KLEOPATRA Ich meine, du haettest schon viel frueher anfangen sollen, alle Kraefte, die gegen dich arbeiten, zu neutralisieren, statt immer nur Ruecksichten zu nehmen. Was hast du zu verlieren? Wenn alles nach Wehlers Plaenen laeuft, bist du sowieso die laengste Zeit Praesident gewesen. Aus dem Blickwinkel kannst du es leicht riskieren, Pinochet zu entlassen.
LUMUMBA Und dann?
KLEOPATRA Durch einen Kandidaten deiner Wahl zu ersetzen.
LUMUMBA Und dann?
KLEOPATRA So regieren, dass sie dir die Fuehrungsrolle nicht streitig machen koennen. - Wo hat es sowas schon gegeben? Ein Praesident, der die Wahlen haushoch gewinnt und nach zweieinhalb Jahren freiwillig zuruecktritt. Da fuehlen sich die Waehler doch betrogen.
LUMUMBA Die Waehler sind unzufrieden. Den meisten waere es am liebsten, wenn ich sofort meinen Sessel raeumte.
KLEOPATRA Wenn wir damals schon zusammen gewesen waeren, saehe die Sache anders aus, das kannst du mir glauben.
LUMUMBA Wie denn? Nach Zornigs Tod war nicht klar, wie es weitergehen wuerde. Es gab ein Machtvakuum. Wir mussten uns irgendwie einigen.
KLEOPATRA Ich haette das vom Ergebnis abhaengig gemacht. Jemand, der ueber 60 Prozent erreicht! Und dann wegen einer Hinterzimmerkungelei zuruecktreten! Wenn das nicht ueberhaupt verfassungswidrig ist.
LUMUMBA Etwas aehnliches hat Eckermann neulich auch gesagt.
KLEOPATRA Ich koennte eher das Gegenteil verstehen. Dass ein Praesident in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage ein Ermaechtigungsgesetz erlaesst und die naechsten Wahlen aussetzt, um laenger an der Macht zu bleiben.
LUMUMBA Mit Sondergesetzen regiert.
KLEOPATRA Warum nicht? Wenn die Umstaende es erfordern. Wir leben in schwierigen Zeiten. Vielleicht wuerde dir ein autoritaerer Stil mehr Sympathien einbringen als deine jetzige Politik. Das Volk liebt Fuehrerfiguren. Ein Zornig haette sich die Moeglichkeiten des Praesidentenamtes nicht entgehen lassen.
LUMUMBA Mir fehlt sein Charisma.
KLEOPATRA Das kann man ausgleichen.
LUMUMBA Wie denn?
KLEOPATRA Indem man im Hintergrund die Faeden spinnt. Die entscheidenden Leute auf seine Seite bringt.
LUMUMBA Ich habe viele entscheidende Leute gegen mich aufgebracht.
KLEOPATRA Unsinn. Ein paar alte Maenner, die dir deinen Wahlerfolg neiden und Tschou als Nachfolger untergejubelt haben. Und anschliessend haben sie durch staendige Obstruktion dafuer gesorgt, dass du nun als entscheidungsschwach da stehst. Du solltest dich um die junge, aufstrebende Generation kuemmern. Eckermann, Jung, Guillaume, glaub mir, die lieben dich.
LUMUMBA Ich glaube nicht, dass sie noch die Mehrheit unserer Partei repraesentieren.
KLEOPATRA Und warum?
LUMUMBA Weil die Basis mir nicht mehr vertraut.
KLEOPATRA Weil du ihre Interessen nicht vertreten hast. Weil du, seit du in die Stadt gezogen bist, eine andere Sprache sprichst. Auf Leithengste und Provinzfuersten zuviel Ruecksicht nimmst. Du willst niemandem weh tun, weil du im Grunde deines Herzens Angst vor ihnen hast. Aber ich sage dir, du wirst nicht alle zu Freunden machen koennen, so sehr du dich auch anstrengst. Ich sage dir, du musst die unzuverlaessigen Leute entlassen. Ich sage dir, du musst dich endlich mal durchsetzen. - Ich sage dir, Pinochet muss jetzt abgesetzt werden.
LUMUMBA Wie stellst du dir das vor? Das ist nicht so einfach.
KLEOPATRA Keine Ausfluechte. Du hast mir selbst neulich erklaert, er koenne ohne Angabe von Gruenden in Pension geschickt werden.
LUMUMBA Ich muss wenigstens mit Tschou und Wehler darueber reden.
KLEOPATRA Du muessest nur dem Verteidigungsminister den Auftrag geben, hast du gesagt.
LUMUMBA Sonst fuehlen sie sich vor den Kopf gestossen.
KLEOPATRA Die werden genauso froh sein wie du, wenn ihr ihn los seid.
LUMUMBA Und wenn er putscht?
KLEOPATRA Sei nicht so hasenfuessig.
LUMUMBA (schweigt)
KLEOPATRA Was ist?
LUMUMBA (schweigt noch immer) - Wirst du mir helfen?
KLEOPATRA (umarmt ihn)



2.Szene

Im Foyer des Parlamentes. Abgeordnete stehen in Gruppen zusammen oder eilen, von Assistenten begleitet, ueber die Buehne. Ein exotisch gekleideter, auslaendischer Diplomat oder Minister wird auf die Besuchertribuehne gefuehrt. An der Tuer zum Plenarsaal steht ein Parlamentsdiener. An der Wand haengen Bilder frueherer Praesidenten und ein grosser Bildschirm, auf dem Tiemeier Nachrichten verliest. Eckermann, Baumann, Guillaume und Jung sitzen sich auf Stuehlen gegenueber. Wehler und Tschou lehnen etwas abseits an einer Wand. Lumumba laeuft unruhig hin und her. Die Tuer zum Plenarsaal oeffnet sich. Man hoert Satzfetzen einer Rede, und ploetzliches, tumultartiges Klatschen und Klopfen, als der Redner Neuwahlen fordert. Milster tritt durch die Tuer auf die Buehne, schlendert auf das Trio zu.

BAUMANN (jovial) Setz dich, Oppositionsfuehrer.
MILSTER (scherzhaft) Ich weiss nicht. - Wenn ich mit euch gesehen werde.
BAUMANN Jeder wird das gut finden. Damit du was lernst. (sie ruecken auseinander, um ihm Platz zu machen)
MILSTER (begruesst sie, dann zu Eckermann:) Wie geht's, Herr Aussenminister in spe.
ECKERMANN Gut soweit.
MILSTER Immer noch auf Wohnungssuche?
ECKERMANN Noch immer nichts.
GUILLAUME Allmaehlich wird ein Politikum daraus. Obdachlose Politiker aller Parteien, vereinigt euch.
BAUMANN Darueber koennte ruhig mal das Fernsehen berichten.
GUILLAUME Wie arm wir dran sind.
BAUMANN Tiemeiers Kummerkasten.
MILSTER Sonst musst du bei uns wohnen. Wir haben jetzt Platz. Meine Schwiegermutter ist gestorben.
BAUMANN Milster und Eckermanns Wohngemeinschaft. Da wuerde Tiemeier aber staunen.
ECKERMANN Wohnungen in Regierungsnaehe, mit einen gewissen Komfort koennt ihr vergessen. Und wenn mal eine frei wird, was glaubt ihr, was da verlangt wird?
BAUMANN Zu teuer darf sie nicht sein. Ist schliesslich sparsam, der junge Mann. In seiner Jugend nicht auf Rosen gebettet gewesen.
GUILLAUME (zu Milster:) Nicht wie gewisse buergerliche Politiker in einer Luxusvilla geboren. Haelt sein Geld zusammen und vermehrt es moeglichst, weil er seinen Aufstieg noch immer nicht ganz fassen kann.
MILSTER Zieh doch ins Pressehaus.
JUNG Habe ich ihm auch schon geraten.
GUILLAUME (zu Jung:) Wie lange wohnst du da schon?
JUNG Ueber ein Jahr.
MILSTER Da wohnen viele aus allen Fraktionen, die sich eine teure Zweitwohnung nicht leisten wollen.
JUNG Ich kann es nur jedem empfehlen. Preiswert und komfortabel.
GUILLAUME Koennen sie bald in Abgeordnetenhaus umbenennen.
BAUMANN Und da die Ausschuesse tagen lassen.
MILSTER Aber spottbillig. Hast du wirklich was von deinen Diaeten.
ECKERMANN Nein danke, nichts fuer mich. Ich will in meinem Privatleben auch mal was anderes sehen als Politiker.
MILSTER Ungestoert sein?
BAUMANN (zu Milster:) Uebrigens Diaeten. Das ist ein Thema, was ich schon lange mit dir besprechen will.
MILSTER Weil es uns gewissermassen alle bewegt.
BAUMANN Ich weiss nicht, warum es nicht moeglich sein soll, in dieser Frage mit der Opposition an einem Strang zu ziehen.
MILSTER Das habe ich mich damals auch gefragt.
BAUMANN Gemeinsam vorgehen, ohne alles gleich an die grosse Glocke zu haengen. Davon profitieren wir im Endeffekt doch alle. Mich haben auch schon viele aus deiner Fraktion angesprochen, weil sie das wichtig finden. Mit dem Geld einfach nicht hinkommen. Wahlkaempfe, Zweitwohnung, Assistenten, Heimfahrten und dann noch die Inflation - das frisst uns auf. Dafuer wird auch die Bevoelkerung Verstaendnis haben.
ECKERMANN Wenn du dich da nicht taeuschst. Diaeten sind ein ganz sensibles Thema, das sich Lumumba in dieser Phase nicht leisten kann.
GUILLAUME Und wir koennen uns die Hauptstadt nicht leisten.
MILSTER (zu Baumann) Du hoerst ihn ja. Er und Lumumba haben uns schon einmal zurueckgepfiffen. Und die Opposition stand wie ein begossener Pudel im Regen. Das Risiko moechte ich nicht wieder eingehen.
BAUMANN Nicht mal, wenn es auf der Ebene des Aeltestenrates geregelt wird? Und ich mir Eckermann noch einmal vorknoepfe? (zu Eckermann:) Koenntest du dir endlich eine anstaendige Wohnung leisten.
MILSTER Nicht mal dann. Ihr habt Eure Chance gehabt.
GUILLAUME Ich muss sagen, das war auch fuer mich ein Punkt der Enttaeuschung, wo ich gedacht habe, das kann er nicht machen. So mit uns Abgeordneten umspringen.
MILSTER Anscheinend meint er, bei der komfortablen Mehrheit ...
GUILLAUME Seine Mehrheit ist nicht mehr so komfortabel. Ich meine, ein Dutzend Leute abgesprungen, entweder zu euch oder sie irrlichtern als Fraktionslose umher ... viele andere extrem unzufrieden.
ECKERMANN Ich denke, Wehler hat die Truppe noch ganz gut im Griff.
MILSTER Wehler macht auch nicht mehr alles mit. Jemand sagte, er hat Lumumba ein Ultimatum gestellt.
GUILLAUME Wer sagt das?
ECKERMANN Alles Quatsch.
GUILLAUME Wieso? Ich kann die Unruhe gut verstehen. Ich bin Lumumbas groesster Anhaenger gewesen, aber jetzt komme ich teilweise nicht mehr mit. Mal tut er liberal, laesst selbst Bombenleger laufen, dann wieder werden auf seine persoenliche Anordnung Hausfrauen tagelang festgehalten, nur weil sie gegen die hohen Preise demonstrieren. Er erhoeht die Steuern, nur um die Entscheidung am naechsten Tag wieder zurueckzunehmen und auf extreme Austerity umzuschalten, spart sogar an den Bleistiften in den Ministerien, und am naechsten Tag unterschreibt er die umstrittensten Grossprojekte, wo jeder Mensch mit einigermassen gesundem Verstand voraussehen kann, dass sie den Steuerzahler Millionen kosten werden. Er droht die Oelindustrie zu verstaatlichen und legt sich dabei mit dem Parteivorstand an. (Lumumba, der alles mitgehoert hat, reckt verzweifelt die Arme gen Himmel und setzt sich dann in eine dunkle Ecke)
ECKERMANN Diese Auseinandersetzungen gehen nicht allein auf sein Konto.
GUILLAUME Zwei Wochen spaeter macht er einen Rueckzieher. Das ist ja das Tolle. Wenn er wenigstens bei seiner Linie bliebe.
ECKERMANN Er versucht, das Wahlprogramm umzusetzen.
GUILLAUME Das Wahlprogramm, das Wahlprogramm.
MILSTER (lehnt sich zurueck) Ja, ihr Regierenden habt's schwer.
BAUMANN Ist es das Wahlprogramm, oder sitzt ihm seine Kleopatra im Nacken? (Der Scheinwerferfokus geht zu Wehler und Tschou)
WEHLER Kleopatra, die Weltpolitikerin.
TSCHOU Weisst du, was sie mir neulich erzaehlt hat?
WEHLER Die Nebenregierung.
TSCHOU Sie muss tatsaechlich alles absegnen. Lumumba ist nicht in der Lage, ohne sie eine Entscheidung zu treffen. Wer ihn im Praesidentenpalast um etwas angeht, der wird vertroestet. Nur wer gleich zu Kleopatra rennt, kann sicher sein, erhoert zu werden.
WEHLER Vorausgesetzt er ist bereit, ihr dummes Zeug ins Ohr zu fluestern.
TSCHOU Zu schnurren wie ein Kater. Dann wird Lumumba von ihr instruiert ...
WEHLER ... und alles laeuft am Schnuerchen. Die Minister muessen es in der naechsten Kabinettsitzung nur noch abnicken.
TSCHOU Und die Partei muss es hinterher ausbaden. (Inninger kommt durch eine Hintertuer; bleibt, als er Wehler und Tschou zusammen sieht, hinter deren Ruecken stehen)
WEHLER So weit bin ich noch nicht, dass ich dieser fetten Henne auf den Leim gehen wuerde.
TSCHOU Sie ist nicht fett.
WEHLER Doch; ich finde, sie hat ganz schoen zugenommen. Die Macht scheint ihr zu bekommen.
TSCHOU Die Macht bekommt einem nicht; sie ergreift Besitz von einem. Und treibt bei Kleopatra seltsame Blueten.
WEHLER Was hat sie jetzt schon wieder angestellt?
TSCHOU Sie hat Lumumba dazu gebracht ... er wird sich weigern, mir die Praesidentschaft zu ueberlassen.
WEHLER Das kann nicht sein.
TSCHOU Ist aber so.
WEHLER Seit wann ... ich meine ...
TSCHOU Hat er mir gestern mitgeteilt. Frank und frei.
WEHLER Er hat mir fest versprochen ...
TSCHOU Du haettest es dir von Kleopatra versprechen lassen sollen.
WEHLER Sie war dabei.
TSCHOU Frauen sind unberechenbar. Wahrscheinlich ist Eckermann bei ihr gewesen und hat sie bearbeitet. Oder Inninger. (Inninger versteckt sich so gut als moeglich hinter einer Vorhangsfalte)
WEHLER Das ist der Rubikon, den du nicht ueberschreiten darfst, habe ich zu ihm gesagt.
TSCHOU Ein Ultimatum?
WEHLER Wenn du es so nennen willst. - Jetzt ist es aus. Jetzt muss er die Konsequenzen tragen.
TSCHOU Was fuer Konsequenzen?
WEHLER Er verliert meine Unterstuetzung und die der Fraktion. Wir werden ihn zum Ruecktritt zwingen. Und dich zum Praesidenten waehlen.
TSCHOU Meinst du das ernst?
WEHLER Genau wie ich es sage. Es reicht mir.
TSCHOU Willst du wirklich soweit gehen?
WEHLER Wieso? Unsere Regierungsfaehigkeit steht in Frage? Er macht die Partei kaputt, wenn er staendig Absprachen desavouiert.
TSCHOU (zweifelnd) Meinst du, er laesst sich einfach so davonjagen?
WEHLER Wenn wir uns einig sind.
TSCHOU Und wenn wir scheitern?
WEHLER Bleibt er Praesident.
TSCHOU Und wir?
WEHLER Habe ich deine Unterstuetzung, ja oder nein?
TSCHOU (zoegert; dann, nach einer Pause:) Meine Unterstuetzung hast du.
WEHLER Und die vieler anderer. Mach dir keine Sorgen. Auch Baumann und Guillaume sind auf unserer Seite. Lumumbas Pirouettenpolitik stoert sie schon lange.
TSCHOU Baumann hat ihm seine Zurueckhaltung sehr uebel genommen, als die ganze Pressemeute, Tiemeier voran, ueber ihn herfiel. Um so dankbarer ist er mir gewesen, weil ich mich fuer ihn eingesetzt habe. Aber Guillaume?
WEHLER Guillaume ist wie eine schoene Frau. Er braucht keinen Wettermann, um sagen zu koennen, aus welcher Richtung der Wind weht.
TSCHOU Wieso kommst du auf schoene Frauen?
WEHLER Das war das erste, was mir auffiel, bevor wir die Wahl gewannen. Dass es in den Versammlungen ploetzlich von schoenen Frauen wimmelte.
TSCHOU Muss der Duft der Sieger sein.
WEHLER Kleopatra hat ihn schon ein paar Jahre frueher gerochen.
TSCHOU Kleopatra ist ein Sonderfall. Sie waere gern selbst die Wetterhexe.
WEHLER Vorschlaege, wie wir vorgehen sollten?
TSCHOU Nicht direkt. DU hast ihm das Ultimatum gestellt. Hast du keinen Plan fuer den Tag X in der Schublade?
WEHLER Nein.
TSCHOU Am besten, er wuerde freiwillig zuruecktreten. Einsehen, dass er keine Wahl hat. Keine Machtkaempfe; niemand wuerde das Gesicht verlieren; und die Partei wuerde keinen Schaden nehmen.
WEHLER Haeltst du das fuer realistisch?
TSCHOU Warum nicht? Wir muessen zu ihm gehen und ihm klarmachen, dass er nur verlieren kann, wenn er sich straeubt.
WEHLER Weil wir zu allem entschlossen sind.
TSCHOU Zu allem? Auch zur Methode Zornig?
WEHLER Das nun nicht gerade. Wir muessen sehr feinfuehlig vorgehen. Er koennte versucht sein, fuer den Fall seines ploetzlichen Ablebens Vorkehrungen zu treffen.
TSCHOU Zum Beispiel?
WEHLER An einer vertraulichen Stelle Notizen ueber Zornigs Tod hinterlegen.
TSCHOU Das wuerde der Partei allerdings schaden.
WEHLER Um so besser muessen wir vorbereitet sein. Es darf fuer ihn keine Hintertuer geben. (Sie begeben sich in eine dunkle Ecke der Buehne und verhandeln dort leise weiter. Nach kurzem Zoegern tritt Inninger aus seinem Versteck zur Mitte der Buehne vor. Daraufhin kommen Lumumba sowie Tschou und Wehler aus ihren dunklen Ecken und gehen auf ihn zu)
TSCHOU Mein lieber Inninger, ich moechte Ihnen mein herzliches Beileid aussprechen.
LUMUMBA Es tut uns allen sehr leid. Das ist ein Schicksalsschlag, den man nicht so einfach wegsteckt.
WEHLER Auch mein Beileid. Ich kann verstehen, wie Sie sich fuehlen. Vielleicht kommt Ihnen jetzt zugute, dass Sie momentan von der Politik nicht allzu sehr beansprucht werden und etwas Zeit zur Besinnung haben. (Alle drei drehen sich so ploetzlich weg wie sie auf ihn zu gekommen sind und postieren sich neben der Tuer zum Plenarsaal. Der Diener tritt eilfertig zurueck. Fokus wieder auf die Sitzenden.)
MILSTER (der mitgehoert hat) Wieso? Was ist passiert?
ECKERMANN Seine Frau hat sich umgebracht.
MILSTER Ach. Weiss man warum?
ECKERMANN Sie scheint krank gewesen zu sein.
GUILLAUME Zu empfindlich.
MILSTER Wahrscheinlich hat sie den Druck nicht ausgehalten.
GUILLAUME Welchen Druck?
MILSTER Na hoer mal. Jeder weiss, dass Inninger von eurem Vorstand gemobbt wird.
GUILLAUME Gemobbt? - Also, gemobbt ist uebertrieben. Ich wuerde sagen, er musste Verantwortung abgeben.
ECKERMANN Aber warum sollte dann die Frau ...?
MILSTER Sowas nimmt die ganze Familie mit, glaub mir, wenn der Mann berufliche Probleme hat. Ich seh's bei meinem Bruder. Als Single kannst du das natuerlich nicht verstehen.
ECKERMANN Warum soll ich das nicht verstehen koennen? Glaubst du, ich kann mich nicht in andere Leute hineinversetzen?
BAUMANN Hast du eigentlich inzwischen eine Freundin?
ECKERMANN Das werde ich ihm (nickt zu Milster) nicht auf die Nase binden.
BAUMANN Warum denn nicht?
ECKERMANN Ich wuerde mir eher die Zunge zerbeissen.
MILSTER Ja, warum denn?
ECKERMANN Du wuerdest es doch gleich bruehwarm Tiemeier erzaehlen.
MILSTER Ich? Also nein. Bestimmt nicht. Von mir erfaehrt keiner was. Ich bin still wie ein Grab.
BAUMANN Und was waere so schlimm daran? Andere Leute haben auch Freundinnen.
MILSTER Also: er hat keine.
GUILLAUME Waere ich mir nicht so sicher. Stille Wasser sind tief.
BAUMANN Mensch, dir muessten doch die Frauen hinterher laufen. Jung. Gut aussehend. Erfolgreicher Politiker.
GUILLAUME Nimm Dir ein Beispiel an Jung. Zwei an jedem Finger.
MILSTER Nicht dass du schwul bist.
BAUMANN DAS waere was fuer Tiemeier.
ECKERMANN Hoert doch auf, ihr Idioten. (Er steht auf und geht zur Wand, wo er sich die Portraits der Ex-Praesidenten anschaut.)
JUNG Zwei an jedem Finger. Ich weiss nicht, warum Ihr das immer noch ueber mich verbreitet. Ich bin schon laengst in festen Haenden. (Lumumba oeffnet die Tuer zum Plenarsaal und lauscht hinein. Man hoert Satzfetzen einer Politikerrede. Er schliesst sie wieder.)
LUMUMBA Immer dasselbe. Ich kann's nicht mehr hoeren.
WEHLER Die haben Oberwasser wegen der Kommunalwahlen. Fast alle Mandate gewonnen. (Fokus zurueck auf die Sitzenden Guillaume, Jung, Milster und Baumann)
MILSTER Da staunt ihr. Aus uns kann noch was werden.
BAUMANN (zu MILSTER) Dabei habt ihr erst voriges Jahr die groesste Niederlage kassiert.
(Fokus zu Lumumba, Tschou und Wehler)
LUMUMBA Bodenlos, ich weiss. Ich frage mich jeden Tag, wie wir so schnell abstuerzen konnten.
TSCHOU Wir sind selber schuld. Muessten schnellstens unsere Politik aendern.
WEHLER Leichter gesagt als getan. Bei uns gibt es zu viele Warmduscher.
(Fokus zurueck zu den Sitzenden)
MILSTER Und jetzt! Stehen wir SO da. - (Baumann, Jung und Guillaume schweigen) Wir haben es eben verstanden, die Sympathie der Leute zurueck zu erobern. Neues, junges Personal. Frischer Schwung.
ECKERMANN (kommt heran, setzt sich wieder zu ihnen) Frischer Schwung. Dass ich nicht lache.
MILSTER Woran glaubst du denn liegt es?
ECKERMANN Die erste Zeit ist fuer eine neue Regierung immer schwierig. Da verliert sie automatisch Zustimmung.
MILSTER Besonders, wenn sie soviel falsch macht wie ihr.
ECKERMANN Wir haben eben bestimmte Projekte durchgezogen, die wir fuer richtig hielten, die auch notwendig sind, aber im Volk nicht unbedingt auf Gegenliebe stossen.
MILSTER So? Was habt ihr denn durchgezogen? Ihr seid doch jedesmal sofort eingeknickt, wenn ihr gemerkt habt, wie unbeliebt ihr euch macht. Da war es aber meist schon zu spaet.
ECKERMANN Das eigentliche Problem mit unseren Reformen ist: Es gibt Leute, die einen abwaehlen, sobald sie 5 Cent mehr ausgeben muessen. Siehe die Gesundheitsreform. Wir koennen froh sein, dass die Rechtsradikalen nicht mehr Zulauf haben.
GUILLAUME Haben sie doch. Wirst schon sehen: bei den Gouverneurswahlen kommt es noch dicker.
BAUMANN 15 Prozent der Bevoelkerung sind potentielle Rechtsextreme, sagen die Soziologen. Und weitere 15 Prozent koennen sich vorstellen, sie zu waehlen.
ECKERMANN Na bitte. Dann koennen wir ja gleich abtreten.
GUILLAUME Manchmal frage ich mich, ob wir das ganze tolerante Getue nicht weglassen sollten.
ECKERMANN Was meinst du?
GUILLAUME In geordnete Bahnen lenken. Extremisten konsequent verbieten. Stichwort: gelenkte Demokratie.
BAUMANN Wuerde ich nicht zu laut sagen.
GUILLAUME (grinst) Wieso? (nickt zu Milster) Ist doch angeblich still wie ein Grab, der.
BAUMANN (zu Eckermann:) Was sagt das Kuechenkabinett dazu?
ECKERMANN (nach einer Pause) Es wuerde sowieso nichts bringen. Uns fehlt die Zwei-Drittel-Mehrheit. Und er (nickt zu Milster) torpediert alle Vorschlaege.
GUILLAUME Man braucht nicht fuer alles eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Die Verfassung ist dehnbar. Hat unsere Vorgaengerregierung zu genuege bewiesen.
MILSTER Hoert, hoert. Aber ich bin ueberzeugt, auch Zornig haette damit weniger Probleme gehabt.
ECKERMANN Womit?
MILSTER Verfassungsinterpretationen.
ECKERMANN Er war ein Bauer. Den haettest du mit deinen Finten schon lange aufs Kreuz gelegt.
GUILLAUME Man sagt doch: schlau wie ein Bauer.
MILSTER Ich kann euch nur warnen, schlauer sein zu wollen als ich.
ECKERMANN Warum? Das ist doch nicht schwer.
MILSTER Ich weiss doch, was du mit Lumumba ausbruetest.
ECKERMANN Was bruete ich denn aus?
MILSTER Die Unschuld. - Wenn's kein Ermaechtigungsgesetz ist, ist es bstimmt die Wahlkreisreform.
ECKERMANN Und wenn?
MILSTER Kann ich euch nur vor warnen.
ECKERMANN Weil du Schiss hast, dass ihr naechstes Mal gar keine Sitze mehr kriegt.
MILSTER Das Vorhaben ist eindeutig verfassungswidrig. Wir werden alles tun, um das Gesetz zu Fall zu bringen.
ECKERMANN Wer sagt denn, dass wir es wirklich einbringen.
MILSTER Ich habe so meine Quellen.
BAUMANN Ich denke auch, der Schuss koennte nach hinten losgehen. Was ist, wenn sich bei der der naechsten Wahl die Stimmenverhaeltnisse umkehren, Dann stehen WIR fast ohne Abgeordneten da.
JUNG Lumumba wird sich das schon ueberlegen.
GUILLAUME Wie er sich alles ueberlegt.
TIEMEIER (vom Bildschirm her) ... die neuesten Umfragedaten bekannt.
ECKERMANN Still. Seid mal leise.
BAUMANN Was denn?
ECKERMANN Die Umfragen.
JUNG Tiemeiers Leibspeise. - Zum Kotzen.
BAUMANN Tendenzioes hoch drei.
GUILLAUME Dass der hier immer noch eingeschaltet wird. He, Saaldiener ...
ECKERMANN Lass. Die Umfragen werden schon stimmen. Tendenzioes ist nur seine Visage.
JUNG Zum Einschlagen.
ECKERMANN Hier schadet er wenig.
JUNG Aber er nervt.
(Milster steht auf)
ECKERMANN Was ist?
MILSTER Ich muss zurueck. Hier wird's mir zu brenzlig.
ECKERMANN Was? Wieso?
MILSTER Visage einschlagen. Ihr aergert euch ueber Tiemi. Nachher haltet Ihr euch an mir schadlos.
JUNG Musst nicht alles so woertlich nehmen.
WEHLER (zu Milster, der aufgestanden ist und durch die Halle geht) Warum bist du nicht da drinnen?
MILSTER Warum sollte ich?
WEHLER Wenn deine Leute reden.
MILSTER Ich weiss doch, was Sie sagen. Alles vorher durchgesprochen. Aber ihr; ihr solltet zuhoeren und es euch zu Herzen nehmen.
LUMUMBA Ist doch nicht zum Aushalten. Nur Polemik. Sie bekritteln die Reformen, die Investitionen, die Neuverschuldung. Wer hat denn immer neue Schulden aufgehaeuft? Und wer die Ausgaben um fast 20 Prozent reduziert? Wer hat im neuen Haushaltsplan ...
MILSTER (hebt abwehrend die Haende) Lass sein. Mich wirst du nicht ueberzeugen. (ab)
TIEMEIER Der Praesident hat das Gesetz zur Neuregelung der Wahlkampfkostenerstattung ueberraschend zurueckgezogen. Es ist das dritte Mal in diesem Monat, dass eine Vorlage kurz vor der Abstimmung zur Makulatur erklaert wird. Eine solche Anhaeufung von Pannen hat es bei der Vorgaengerregierung nicht gegeben. Sie laesst sich nach meiner Meinung nur damit erklaeren, dass Lumumba nicht weiss, was er will.
ECKERMANN Tiemeier ist auch so ein Faktor. Dass man dem seine Hetzkampagne noch nicht unterbunden hat.
LUMUMBA (setzt sich auf den frei gewordenen Stuhl) Kuemmert euch nicht um die Umfragen. Was aus uns wird, Top oder Flop, entscheidet die Masse. Und vor der muss man keine Angst haben. Die Masse ist berechenbar. Das ist wie mit den Staus auf der Autobahn. Auch da bilden sich Muster, welche als die Folgen komplizierter, hoeherer Gesetze erscheinen. Dabei ist alles nur eine Frage der Hauptferienzeit.
GUILLAUME Du hast recht. Wir bewegen uns alle wie Automaten durchs Leben.
BAUMANN Auf jeden Fall starren wir zuviel auf die Umfragen.
LUMUMBA Das Zusammenspiel ist schon interessant.
GUILLAUME Welches?
LUMUMBA Zwischen dem Einzelnen und der Masse.
GUILLAUME Wieso?
LUMUMBA Wenn man sie fragt, jeder hat eine eigene Meinung. Keine zwei kannst du unter einen Hut bringen. - Aber am Wahltag.
GUILLAUME Was?
LUMUMBA Brauchst nur in irgendein durchschnittliches Wahllokal gehen, Stimmen zaehlen. Schon weisst du ueber das ganze Land Bescheid.
GUILLAUME Die Macht der Statistik.
LUMUMBA Weil das Waehlen die politische Meinungsbildung auf eine Zahl reduziert. Waehlen ist, mathematisch gesehen, eine Projektion.
GUILLAUME Wohl auch psychologisch gesehen.
LUMUMBA Bei einer Projektion geht viel verloren. Was uns als Politikern letztlich zugute kommt. Koennen unsere eigenen Sueppchen kochen, hier im Regierungsviertel bluehende Landschaften entwerfen, solange wir die Massen in der Illusion wiegen, ihnen zu Willen zu sein.
GUILLAUME Das haelt doch jede Regierung so.
LUMUMBA Die Regierung ist die Inkarnation ihrer Waehler, wie der Mensch eine Inkarnation seiner Gene ist.
BAUMANN Das hoert sich alles so negativ an. Kein bisschen nach Aufbruch.
LUMUMBA Den Aufbruch hatten wir erst. Kurz und schmerzlos beerdigt. (Er steht auf und geht weg. Eckermann folgt ihm. Sie stellen sich in die dunkle Ecke.)
ECKERMANN Du solltest in der Oeffentlichkeit nicht so reden.
LUMUMBA Lass mich. Ich habe keine Lust mehr. (Aus der Tuer zum Plenarsaal stroemen Abgeordnete der Opposition. Sie scharen sich um Milster, der sich auf die rechte Seite der Buehne begeben hat. Die Abgeordneten der Regierungspartei stellen sich auf die linke.)
CHOR DER OPPOSITION Ihr habt die Kommunen verloren, die Hoheit ueber die Strasse und ueber die Stammtische. Eure Kampagnen ziehen nicht mehr, die Leute misstrauen euren Reden.
CHOR DER REGIERUNG Euch trauen sie auch nicht.
CHOR DER OPPOSITION Zornig ist ermordet worden, mordet worden. Niemand will's gewesen sein, wesen sein.
WEHLER Jetzt wird's mir zu bunt. (will auf sie losgehen)
TSCHOU (haelt ihn fest) Lass sie.




4. Akt

1.Szene

Christine und Eckermann in Christines Wohnung. Viel weniger Rotlicht als zuvor. Der Fernseher laeuft. Christine und Eckermann sitzen auf dem Sofa, eng aneinander geschmiegt.

FERNSEHSPRECHER Jetzt steigt die Braut aus dem Auto. Ein schwerer Rolls-Royce, Jahrgang 1968, der nur zu den Hochzeiten der Koenigsfamilie benutzt wird und gewoehnlich unter der Obhut des Oberhofcarmasters im Schloss von Belmorral steht. Der Brautvater und die Brautjungfern helfen ihr, mit der schweren Schleppe fertig zu werden.
ECKERMANN Die fuehren ein Leben.
CHRISTINE Geld wie Heu.
ECKERMANN Schloesser im Dutzend.
CHRISTINE Schoene Kleider.
ECKERMANN Hast du doch auch.
CHRISTINE Glaub nicht, ich koennte mir solche Schneider leisten.
ECKERMANN Keine anderen Sorgen als ihre Schleppen.
CHRISTINE Koennen nicht abgewaehlt werden wie mein armer Schatz.
ECKERMANN Ab und zu bisschen repraesentieren.
CHRISTINE Ab und zu ein Skandal, wenn einer aus der Sippe ueber die Straenge schlaegt.
ECKERMANN (kuesst sie) Mit einem leichten Maedchen erwischt wird.
FERNSEHSPRECHER Der Brautvater geleitet die Braut unter lautem Jubel ueber den Vorplatz. (Kirchenglocken beginnen zu laeuten)
ECKERMANN Schmarotzer.
CHRISTINE Sag sowas nicht. Ich habe eine Schwaeche fuer Prinzessinnen.
ECKERMANN Vielleicht weil du selbst gern eine waerst.
CHRISTINE Vielleicht.
ECKERMANN Sowas koennen sich nur die Europaer leisten. Jahrzehnte stabile wirtschaftliche Verhaeltnisse, waehrend es bei uns drunter und rueber geht. Ich weiss auch nicht, warum es uns nicht gelingt ...
CHRISTINE Der ewige Kreislauf von Armut und Unterentwicklung. Weil wir arm sind, koennen wir ausser den Bodenschaetzen nur minderwertige Produkte zu niedrigen Preisen auf dem Weltmarkt verkaufen.
ECKERMANN Wo hast du das denn gelesen?
CHRISTINE Bei Zornig. Habe mich schlau gemacht. Weil du mir mein konservatives Gedankengut dauernd vorwirfst.
ECKERMANN Mein Liebchen hat sich schlau gemacht. Sehr gut. - - Hast du eigentlich heute was warmes zu essen vorgesehen?
CHRISTINE Nein.
ECKERMANN Schade.
CHRISTINE Du hast gesagt, du musst noch mal weg. Da habe ich nichts eingekauft und mir fuer abends etwas vorgenommen.
ECKERMANN Was du in meiner Abwesenheit immer so treibst, moechte ich wissen.
CHRISTINE Nicht viel. Seit du mich aushaeltst, verbringe ich die meiste Zeit mit Warten.
ECKERMANN Es tut mir leid.
CHRISTINE Braucht dir nicht leid zu tun. Die Lage ist eben so.
ECKERMANN Bereust du es?
CHRISTINE Nein. Du?
ECKERMANN Nein. Wieso?
CHRISTINE Immerhin koste ich dich einiges.
ECKERMANN Dafuer habe ich dich fuer mich allein. (kuesst sie) Was mir sehr wichtig ist. Ich koennte es nicht ertragen, dich noch immer mit anderen Maennern zu teilen. Ich wuerde wahnsinnig. Ich waere zu allem faehig.
CHRISTINE (legt ihm die Finger auf die Lippe) Sag so etwas nicht.
ECKERMANN Doch. Ich wuerde dich lieber tot sehen. Du weisst nicht, wie ich gelitten habe, als du noch ...
CHRISTINE Hoer auf. Ich mag das nicht hoeren. Erzaehl mir was Schoenes. Die Prinzessin zum Beispiel, wusstest du ...
ECKERMANN Essen. Ich muss unbedingt etwas essen.
CHRISTINE Ein paar kalte Spaghetti sind noch da.
ECKERMANN Besser als nichts.
CHRISTINE (steht auf und stellt ihm die Spaghetti sowie Essgeschirr auf den Tisch) Etwas Gemuese ist auch drin.
ECKERMANN Ich hol mir mal Ketchup. (geht zum Kuehlschrank)
CHRISTINE Ketchup ist gar nicht so gesund.
ECKERMANN So? Wieso?
CHRISTINE Zuviel Zucker. Ich nehme immer nur Tomatenmark. Sehr gesund. Noch gesuender als frische Tomaten.
ECKERMANN Du solltest Nudeln und Gemuese getrennt kochen. Und dann mischen.
CHRISTINE Du kannst ja mal fuer uns kochen. Und machst genau so, wie du es dir vorstellst.
ECKERMANN Ich hol mir mal Tomatenmark. Ist die Tube im Kuehlschrank?
CHRISTINE Ja.
ECKERMANN (geht an den Kuehlschrank, oeffnet ihn) Ist ja halb offen. So wie du die Sachen da reingestopft hast, geht der gar nicht zu.
CHRISTINE Du kannst sie gern ordentlich einraeumen.
ECKERMANN Das ist die pure Energieverschwendung.
CHRISTINE Die Leier wieder ...
ECKERMANN Du solltest dir das ruhig merken. Solange ich die Stromrechnung bezahle ... und dann all dieser Plastikmuell. (zerrt aufwaendig in Plastikfolie geschweissten Aufschnitt vor)
CHRISTINE Soll gesuender sein als handverpackter Aufschnitt.
ECKERMANN (haengt seinen Kopf tiefer in den Kuehlschrank) Ich sehe kein Tomatenmark.
CHRISTINE Im Seitenfach.
ECKERMANN Komm doch mal. Ich sehe es nicht.
CHRISTINE Meine Guete! Bist du blind?
ECKERMANN Wenn ich schlecht geschlafen habe, uebersehe ich alles.
CHRISTINE (erhebt sich) Wieso hast du schlecht geschlafen?
ECKERMANN Ich habe sie. (Christine kommt dazu. Eckermann fischt danach und haelt die bedenklich zerknitterte Metalltube in der Hand.)
CHRISTINE (will sie ihm aus der Hand nehmen)
ECKERMANN Lass mal! Ich zeige dir, wie du mit der Tube umgehen musst. Wie du das machst, reisst sie ein und du hast das ganze Mark an den Fingern. (Er drueckt und glaettet die Tube)
CHRISTINE Sehr schoen, wie du das machst.



2.Szene

Buck und Milster und Pinochet im Hotelzimmer.

BUCK Diese Kanaillen. Langsam glaube ich, Zornig waere das kleinere Uebel gewesen.
PINOCHET Neulich haben Sie noch behauptet, sein Tod haette seine Anhaenger moderater gemacht.
BUCK Ein Irrtum, wie ich zugebe. Ich haette das nicht fuer moeglich gehalten.
PINOCHET Ich habe es gleich gesagt. Lumumba ist und bleibt, was er immer war: ein skrupelloser Emporkoemmling.
BUCK Der sich nicht steuern laesst.
PINOCHET Weil er seine Abstammung nicht verleugnen kann.
BUCK Dem man auf keinen Fall trauen darf. Bricht nonchalant Abmachungen und internationale Vertraege; riskiert sogar kriegerische Auseinandersetzungen.
MILSTER Nach meinen Informationen ist noch nichts entschieden. Es gibt nur einen Referentenentwurf ...
BUCK Nach meinen Informationen will Lumumba ihn bis Ende des Monats durch das Parlament bringen.
MILSTER Solange Wehler und Tschou dagegen sind ...
PINOCHET Auf die nimmt er keine Ruecksicht mehr.
MILSTER Das wird er wohl muessen.
PINOCHET Die sind inzwischen so verfeindet. Ich sehe es ja im Verteidigungsausschuss. Lumumba ist entschlossen, sich in allen Fragen durchzusetzen.
MILSTER Trotzdem glaube ich ...
PINOCHET (zu MILSTER:) Was Sie glauben! (zu
BUCK:) Sind Sie denn immer noch nicht ueberzeugt, dass wir handeln muessen?
BUCK Moeglicherweise werden wir handeln muessen. Aber nicht so, wie Sie sich das vorstellen.
PINOCHET Ihr Vorgaenger war weniger zoegerlich. Er haette mir laenst gruenes Licht gegeben.
BUCK Mag sein, dass Ihnen mein Vorgaenger lieber war. Ich gebe jedenfalls die Hoffnung nicht auf, dass wir die Verstaatlichung mit legalen Mitteln noch verhindern koennen.
PINOCHET Welche zum Beispiel.
BUCK Der oberste Gerichtshof.
PINOCHET Inzwischen mit Lumumbas Parteigaengern besetzt.
BUCK Der Waehrungsfond.
PINOCHET Papiertiger. Von Lumumba nicht ernst genommen.
BUCK Die UNO.
PINOCHET Wird im Zweifel zu ihm halten. Er pflegt beste Beziehungen zum Generalsekretaer.
BUCK Der seinerseits gegen die Vereinigten Staaten voreingenommen ist.
MILSTER Seit ihr ihm die Wiederwahl vermasselt habt.
BUCK Seine Quertreibereien konnten wir nicht mehr hinnehmen.
PINOCHET Warum sollte sich Lumumba an UNO-Beschluesse halten, wenn Ihr selber euch ueber die Regeln hinwegsetzt?
MILSTER Bleibt noch die Moeglichkeit, dass seine Kontrahenten sich durchsetzen. Ich glaube nicht, dass ein Mann wie Wehler sich kampflos geschlagen gibt.
PINOCHET Ich muss sagen, es ist weit gekommen. Dass wir auf die Durchsetzungskraft eines Ex-Banditen angewiesen sind.
BUCK Sie haben ja recht. (Buck und Pinochet sehen sich lange in die Augen) Trotzdem moechte ich Sie bitten, im Moment noch etwas abzuwarten.

(Auftritt Guillaume. Er ist offenbar stark angetrunken)
BUCK (springt auf) Sie kommen zur unrechten Zeit. (leiser:) Sie wissen doch, Sie duerfen nur kommen, wenn ich allein bin. (Guillaume laesst sich davon nicht stoeren)
MILSTER Sieh an, der Herr Minister.
PINOCHET Was will DER denn hier?
BUCK Meine Herren, Sie kennen sich?! - Aber bitte, nur keine Beruehrungsaengste. Herr Guillaume ist einer meiner treuesten Mitarbeiter. Einer der Gruende, warum ich immer bestens informiert bin und die Hoffnung noch nicht aufgegeben habe.
PINOCHET Ich weiss nicht, wenn man ihn so sieht, ob er einem viel Hoffnung machen kann.
GUILLAUME Du! Hoer bloss auf. Wegen Dir bin ich in der Nebensache ueberhaupt nur hier.
BUCK Wieso? Was ist los?
GUILLAUME Er (zeigt theatralisch auf Pinochet) soll entlassen werden. Neueste Neuigkeit! Ich habe gedacht, das koennte euch ein bisschen interessieren.
BUCK Er sollte schon oefter entlassen werden.
GUILLAUME Diesmal ist es Lumumba ernst. Ich war dabei, als er die Urkunde unterschrieben hat. (alle schweigen)
PINOCHET So, Herr Botschafter. Was raten Sie jetzt?
BUCK Ich weiss nicht. Ich denke, wir werden die Situation noch einmal analysieren muessen.
PINOCHET Mir reicht's. Ich finde, die Situation ist bereits genug analysiert. Ich weiss jedenfalls, was ich zu tun habe.
MILSTER Wenn Sie das tun, brechen Sie die Bruecken zu uns ab.
PINOCHET Reden Sie nur. Schon viel zu viel geredet. Ich habe keine Lust, mir weiterhin dummes Zeug erzaehlen zu lassen. (ab)
BUCK Bleiben Sie hier! Ich bin ja bereit, nochmals ueber Ihre Plaene ... (zu Milster:) Wir muessen unbedingt eine Einigung finden. - Koennten Sie hinter ihm her? Ihn aufhalten.
MILSTER (zoegert)
BUCK Es ist sehr wichtig.
MILSTER Was soll ich ihm sagen?
BUCK (draengend) Irgendetwas. Was ihn beschwichtigt.
MILSTER (widerstrebend) Werd's versuchen. (ab)
BUCK (zu Guillaume, der sich schwankend auf Pinochets Stuhl setzt) Und Sie kriegen erst mal einen Kaffee. (giesst ihm Kaffee ein, Guillaume trinkt) - Und in der Hauptsache?
GUILLAUME Hauptsache?
BUCK Sie sagten, Sie seien in der Nebensache Pinochet hier. Ich frage mich, was die Hauptsache ist.
GUILLAUME Ach so. Du passt ja wirklich auf ... wie ein Schiesshund.
BUCK Also was?
GUILLAUME Ich brauche Geld.
BUCK Geld. Du brauchst immer Geld. Zahlt dir der Staat nicht genug?
GUILLAUME Der Staat ja. Aber Du nicht. Die Arbeit ist gefaehrlicher als ich gedacht habe. Koennte schwerwiegende Konsequenzen fuer mich haben. Ausserdem habe ich Unkosten.
BUCK Teure Hobbies.
GUILLAUME Kann schon sein.
BUCK Ich habe im Moment leider nichts dabei. (kehrt seine leeren Jackentaschen nach aussen)
GUILLAUME War mir klar. Du kannst aber noch etwas anderes fuer mich tun.
BUCK Das waere?
GUILLAUME Da Du dich mit den Anderen so gut verstehst.
BUCK Nicht wahr. Das haben wir ja eben gesehen.
GUILLAUME Was denn? Ich habe nichts gesehen. Nichts von Bedeutung. Nickeleien unter Freunden.
BUCK Die uebel ausgehen koennten.
GUILLAUME Gutes Wort fuer mich einlegen. Bitte! Falls ich gezwungen bin, meine Partei zu verlassen.
BUCK Koennte ein Problem werden. So wie Sie den General angegangen sind.
(Milster kommt zurueck.)
BUCK Und?
MILSTER Nichts.
BUCK Was nichts?
MILSTER Nicht einzuholen, der Mann.
BUCK Zum Henker.
MILSTER Sie sollten ihn anrufen.
GUILLAUME (weggetreten) Wen anrufen?
BUCK Spaeter. - Was meinen Sie: da er so entschlossen ist, sollen wir uns anschliessen?
GUILLAUME Pinochet befiehl, wir folgen.
MILSTER Auf keinen Fall.
BUCK Vielleicht liesse sich so das schlimmste verhindern.
MILSTER Darauf wuerde ich nicht wetten.
GUILLAUME Ich mag Frauen, die im Bett quieken.
MILSTER Wie bitte?
GUILLAUME Heute abend ficke ich deines Freundes Betthaesin.
MILSTER Welches Freundes?
GUILLAUME Deines vertrauten Parteifeindes. (Milster sieht ihn an.) Richtig geraten!
BUCK Hoeren Sie auf. Sie sind ja immer noch betrunken. Trinken Sie endlich Ihren Kaffee.
GUILLAUME Lass mich mit deinem Kaffee. Ein anstaendiger Whisky waer mir jetzt lieber.
MILSTER Also, erstens ist er nicht mein Freund, sondern mein politischer Gegner, und zweitens hat er keine Freundin.
GUILLAUME Also, erstens merkt doch jeder, wie nett ihr euch findet, wie ihr die ganze Zeit zusammen hockt und euren Spass an der Politik habt, die beruehmte Milster-Eckermann-Kompromiss-Kombo, und zweitens hat er schon lange eine. Er sagt es nur keinem. Haelt sie vor den Leuten versteckt. Ist naemlich nicht ganz koscher, das Frauchen. Schlaeft mit jedem, der sie bezahlen kann.
BUCK Wen interessiert das?
GUILLAUME Wollt's nur mal gesagt haben. Ich mag Frauen, die im Bett quieken.



3.Szene

Regierungspalast. Buero des Praesidenten. Dunkelheit. Lumumba vor der Terassentuer. Auftritt Eckermann.

LUMUMBA Der Strom ist ausgefallen.
ECKERMANN Macht nichts. Zeig mir noch mal die Sterne.
LUMUMBA Jetzt nicht. Ich habe andere Sorgen.
ECKERMANN Mach dir nicht zu viele Sorgen. Sonst haben dich die Sterne begeistert. Was fuer Vortraege du mir gehalten hast.
LUMUMBA Das war einmal. Wenn ich jetzt zu den Sternen blicke, habe ich Angst.
ECKERMANN Angst? Wovor hast du Angst?
LUMUMBA Einem dunklen, kalten Universum ausgeliefert zu sein, das sich kein Deut fuer uns Gewuerm hier auf der Erde interessiert. Angst vor der Zukunft, die uns bedroht. Angst vor den Massen, die uns gewaehlt haben. Mit Politik den Armen helfen, das war der Ansatz. Aber wie? Mehr Stuetze? Mehr Brot und Spiele? Oder lieber Anreize zum Arbeiten? Nein! Niemandem helfen wir ausser uns selbst. Und das auch nur scheinbar. Wir sind Wahnwitzige in einer wahnwitzigen Welt. Von Trieben beherrscht irrlichtern wir anderen Irrlichtern hinterher, verfolgen Ziele, die schief stehen auf der Wahrheit der Welt und zu ihr nicht kommen koennen. Nichts bessert sich. Es wird immer schlimmer. Ueberall Krisen, Hunger, Gewalt. Irgendeinem Anfuehrer oder Staatenlenker faellt es ein, einen Krieg vom Zaun zu brechen, und sofort wie auf Kommando scharen sich die Massen hinter ihm. Jeder will eine Rolle spielen, Zahnrad im Getriebe sein. Jeder ist unablaessig taetig, in Bewegung, subjektiv fuer sich selbst und seinen darwinistischen Vorteil, aber objektiv zur Fortwicklung und Stabilisierung des Wahnsinns. Das ist uebrigens die einzige Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens, die ich kenne. Dass sich das System fortwaehrend selbst reproduziert. Geschichte, Fortschritt, Utopien, der ganze Quatsch. Du hast ganz recht, dass dich das nicht interessiert. Die Geschichte kommt mir vor wie der Sand, den ein Bagger vor sich herschiebt, der alles schnell wieder zuschuettet, was die emsigen Maulwuerfe nach oben tragen. Was bleibt, sind nur die paar Namen der Giganten und eine ganz schwache Erinnerung an Atlantis.
ECKERMANN Und der Weltgeist, den du so oft beschworen hast? Der, nach einem Bild von dir, wie ein Theater ist, in dem die Menschen, wenn auch aus verschiedenen Blickwinkeln, einer gemeinsamen Auffuehrung zusehen.
LUMUMBA Selbstbetrug. Ich habe ihn mit dem Zeitgeist verwechselt. Der Zeitgeist weht wetterwendisch mal aus der einen, mal aus der anderen Richtung. Riecht mal nach Fortschritt, mal nach Muellverklappung.
ECKERMANN Aber die Hoffnung! Die Menschen, die dich gewaehlt haben!
LUMUMBA Alle im falschen Film gewesen. Genau wie ich. (Das Licht geht wieder an. Lumumba besinnt sich.) Hast du die Vorlage da?
ECKERMANN (holte eine Akte unter dem Arm vor) Hier bitte.
LUMUMBA (liest) Paragraph 1: Die Regierung wird ermaechtigt, die Massnahmen zu treffen, welche sie auf finanziellem, wirtschaftlichem und sozialem Gebiet fuer erforderlich und dringend erachtet. Dabei kann von den Grundrechten der Verfassung abgewichen werden. Die Ermaechtigung erstreckt sich nicht auf die Regelung der Rentenzahlungen ... Rentenzahlungen?
ECKERMANN Ja. Und ein paar andere Punkte, die wir noch festlegen muessen. Um den kritischen Kantonisten unter den Abgeordneten entgegenzukommen.
LUMUMBA Die erlassenen Verordnungen sind dem Parlament unverzueglich zur Kenntnis zu bringen und auf sein Verlagen sofort aufzuheben.
ECKERMANN Auch das zur Beruhigung der Abgeordneten.
LUMUMBA Paragraph 2: Dieses Gesetz tritt sofort in Kraft. Es tritt mit dem Wechsel der derzeitigen Regierung sofort ausser Kraft. Hast du die Formulierungen mit deinen Juristen abgeklaert?
ECKERMANN Ja.
LUMUMBA Und deine persoenliche Meinung? Hat die sich geaendert?
ECKERMANN Nein. Ich halte das Gesetz fuer eine Bankrotterklaerung des Parlamentarismus.
LUMUMBA Das sehe ich anders. Wenn die Volksvertretung in einer Notlage gewisse Befugnisse auf die Regierung uebertraegt ...
ECKERMANN Das Hauptproblem ist die Zweidrittelmehrheit, die wir nicht haben.
LUMUMBA Die koennten wir schon zusammen bekommen?
ECKERMANN Wie soll das gehen?
LUMUMBA Es sind immer einige Abgeordnete verhindert. Auch von der Opposition.
ECKERMANN Das hiesse: sich auf den Zufall verlassen.
LUMUMBA Dem Zufall liesse sich nachhelfen.



4.Szene

Auf der Strasse. Abgestellte Autos, Fahrraeder, Schaufensterauslagen wie vor. Der Obsthaendler hat dicht gemacht. An der Ecke stehen mehrere Berber, die von einem Polizisten vertrieben werden. Auftritt Eckermann von links, Demonstranten von rechts. Der Polizist winkt ihnen aufmunternd zu, sie winken zurueck.

ZEITUNGSVERKAEUFER Ausschreitungen im Einkaufsviertel. Hausfrauen pluendern Geschaefte.
ERSTER DEMONSTRANT (zum zweiten) Das Gesicht kommt mir bekannt vor.
ZWEITER DEMONSTRANT Ist das nicht ...
ERSTER DEMONSTRANT Genau. Der Staatssekretaer.
ZWEITER DEMONSTRANT Dass der sich hierher traut. (zum dritten:) He Wilfried, sieh mal da.
DRITTER DEMONSTRANT Was willst du denn hier. Auf dich haben wir gerade gewartet. (Die Demonstranten heben Steine auf und werfen sie nach Eckermann. Der fluechtet in die Arme des Polizisten, der ihn aber zur Seite stoesst. Ein Stein trifft ihn am Kopf. Er laeuft weg.)
DRITTER DEMONSTRANT Schweinehund, elender. (Sie laufen ihm hinterher)



5.Szene

Auftritt Eckermann und Inninger im Foyer des Parlamentes. Eckermann kommt, schwer atmend und sich die Stirn haltend, von der Eingangstuer, Inninger geht, aus dem Plenarsaal kommend, auf ihn zu.

ECKERMANN Das war knapp.
INNINGER Ich muss dich dringend sprechen. (sieht die Wunde am Kopf) Was ist passiert?
ECKERMANN Ein Stein.
INNINGER Ein Stein?
ECKERMANN Demonstranten. Ich gehe auf der Hauptstrasse, da kommt mir so ein Haufen entgegen. Die hatten was gegen mich. Wollten mich lynchen. Ich bin gerannt wie verrueckt.
INNINGER Wie das noch enden wird?
ECKERMANN Dass man nicht mehr normal auf die Strasse gehen kann.
INNINGER Ich lasse mich nur noch chauffieren. Mit Sicherheitseskorte. Hast du keine Bodyguards?
ECKERMANN Nein.
INNINGER Die anderen haben alle welche.
ECKERMANN Ich habe im Moment ganz wenig Zeit. Sitzung des Parlamentspraesidiums. (geht weiter, doch Inninger bleibt ihm auf den Fersen)
INNINGER Es ist wirklich aeusserst dringend. Betrifft Lumumbas Zukunft; die Existenz unserer Partei steht moeglicherweise auf dem Spiel.
ECKERMANN Was? (bleibt stehen) Worum geht es?
INNINGER Komm mal zur Seite (zieht ihn in eine Ecke und blickt sich verstohlen um) Ich habe ein Gespraech belauscht, was normalerweise eigentlich nicht meine Art ist, und ich wuerde dir auch nichts davon erzaehlen ...
ECKERMANN (ungeduldig) Sag schon. Mach's nicht so spannend.
INNINGER (bedeutungsvoll) Ein Gespraech zwischen Wehler und Tschou. Sie haben vor, Lumumba abzusetzen.
ECKERMANN (unglaeubig) Was?
INNINGER Anscheinend will Lumumba Tschou entlassen.
ECKERMANN Willst du, dass ich das jetzt bestaetige?
INNINGER Tschou hat es Wehler mitgeteilt.
ECKERMANN Lumumba und Tschou haben Schwierigkeiten miteinander, das stimmt. Und?
INNINGER Und nun wollen sie ihm zuvorkommen.
ECKERMANN Du meinst ...
INNINGER Wehler hat sich auf Tschous Seite gestellt. Anscheinend ist er wuetend ueber Lumumbas Eigenmaechtigkeiten.
ECKERMANN Wahrscheinlich denkt er, dass Tschou sich besser dirigieren laesst.
INNINGER Sie sind dabei, irgendwelche Plaene auszuhecken und verschiedene Kollegen auf ihre Seite zu ziehen. Einflussreiche Kollegen.
ECKERMANN Wer zum Beispiel?
INNINGER Ich moechte lieber keine Namen nennen.
ECKERMANN Ich brauche die Namen.
INNINGER Lieber nicht.
ECKERMANN Sag schon. Lumumbas Dank wird dir gewiss sein.
INNINGER Lumumba hat in letzter Zeit nicht unbedingt zu mir gehalten.
ECKERMANN In Zukunft wird er es. Vertrau mir.
INNINGER Ich habe nur 2 Namen gehoert.
ECKERMANN Wer ist es?
INNINGER Baumann und Guillaume.
ECKERMANN Baumann. Und Guillaume? Das ist allerdings ... bedenklich. Der halbe Vorstand.
INNINGER Und die Gouverneure der suedlichen Provinzen.
ECKERMANN Das wundert mich nicht. Die hat Lumumba erst neulich wieder gegen sich aufgebracht.
INNINGER (blickt sich noch einmal verstohlen um) Mehr habe ich nicht zu sagen. Mach damit, was du fuer richtig haeltst.
ECKERMANN Lieber Inninger. Ich danke dir fuer deine Informationen und fuer deine Loyalitaet. Mach dir keine Sorgen. Ich werde gleich mit Lumumba sprechen, welche Gegenmassnahmen wir ergreifen. (Sie schuetteln sich die Haende und trennen sich, gehen in die Richtungen zurueck, aus denen sie gekommen sind. An der Eingangstuer trifft Eckermann Milster, der gerade hereinkommt.)
MILSTER (betont munter) Na, wie geht's dir, altes Haus.
ECKERMANN Ganz gut soweit. Bin aber ziemlich unter Druck. Kannst Du im Ausschuss ausrichten, dass ich heute nicht kommen kann?
MILSTER Was? Wieso? Ich weiss nicht, ob wir ohne dich ...
ECKERMANN Es ist wirklich dringend. Ich muss gleich weiter.
MILSTER (haelt ihn fest) Jetzt warte mal. Ich habe auch ein paar sehr dringende Dinge mit dir zu besprechen.
ECKERMANN Jetzt nicht bitte.
MILSTER Du hast mir mal gesagt, ich kann mit Problemen jederzeit zu dir kommen, und ich habe dir dasselbe Recht eingeraeumt.
ECKERMANN Ja, schon. Natuerlich. Aber muss es denn jetzt sofort sein.
MILSTER Es muss sein.
ECKERMANN Schiess los; aber mach's kurz, bitte. (wird von Milster in dieselbe Ecke gezogen, in der er vorher mit Inninger gestanden hat)
MILSTER Also: erstens: jemand hat mir erzaehlt, du hast ja doch eine Freundin.
ECKERMANN Kann schon sein. - Wer hat das erzaehlt?
MILSTER Die du vor uns versteckt haeltst.
ECKERMANN Wozu soll das wichtig sein? Ist doch meine Privatangelegenheit.
MILSTER Du wirst schon sehen, wozu das wichtig ist. Er hat erzaehlt, dass er auch mit ihr schlaeft.
ECKERMANN Willst du mich aergern, oder was?
MILSTER Es wird Probleme geben, die wir loesen muessen, und ich moechte mit dem kleinsten anfangen.
ECKERMANN Wer ist es?
MILSTER Jetzt bist du doch neugierig.
ECKERMANN Wundert dich das? - Also sag schon!
MILSTER Guillaume.
ECKERMANN Ich hab's geahnt.
MILSTER Er hat gesagt, sie sei eine ...
ECKERMANN Sie hat gesagt, dass sie mir treu ist.
MILSTER Er hat gesagt, er mag Frauen, die im Bett quieken.
ECKERMANN Das Schwein. - Oh, wart's nur ab!
MILSTER Reg dich jetzt bloss nicht auf.
ECKERMANN Du bist gut. Erzaehlst mir sowas, aber ich soll mich nicht aufregen.
MILSTER Es gibt in diesem Zusammenhang noch wichtigere Neuigkeiten.
ECKERMANN (zu sich) Oh, ich werde sie kriegen!
MILSTER (packt ihn wieder am Revers) He, hoer mir mal zu. Ich muss dir unbedingt ...
ECKERMANN Verhackstuecken werde ich sie. (reisst sich von Milster los und stuerzt davon)
MILSTER (ihm hinterher) Warte doch.



6.Szene

Christines Schlafzimmer. Guillaume raucht. Christine sitzt schweigend neben ihm.

CHRISTINE Nanu. Heute gar nicht auf Informationen scharf?
GUILLAUME Nein. Es gibt nicht mehr viel, was Eckermann noch erzaehlen kann.
CHRISTINE Um so besser.
GUILLAUME Du taetest gut daran, ihn in die Wueste zu schicken und dir einen anderen Beschuetzer zu suchen.
CHRISTINE Dich zum Beispiel?
GUILLAUME Nicht unbedingt.
CHRISTINE Sonst hast du mir immer zugeredet, ihn ordentlich auszuhorchen.
GUILLAUME Das war einmal. Mit Eckermann geht es bergab.
CHRISTINE Wieso? Wie kommst du darauf?
GUILLAUME Es wird bald vorbei mit ihm sein. Weg vom Fenster. Lumumba und er haben sich zu viele Feinde gemacht. Sind es nicht Tschou und Wehler, so wird's wohl das Militaer sein.
CHRISTINE Wie kannst du das wissen?
GUILLAUME Ich habe meine Quellen. Pinochet wird alle einsperren lassen. Deinen Eckermann als ersten. Hat sich zu eng an Lumumba gehaengt. Huendisch, wie er ihm in allem gefolgt ist.
CHRISTINE Du warst doch auch immer Lumumbas Getreuer. Auf Lumumba setzen, heisst hochkommen, hast du gesagt.
GUILLAUME Die Zeiten aendern sich. Ich habe rechtzeitig die Kurve gekriegt.
CHRISTINE Und was ist mit den Informationen, die ich dir gegeben habe.
GUILLAUME Was soll damit sein?
CHRISTINE Ich dachte, die waren fuer Lumumba.
GUILLAUME (schweigt)
CHRISTINE Alles gelogen.
GUILLAUME Mein dummes Trinchen. (will ihr wieder an die Waesche)
CHRISTINE (stoesst ihn weg) Hoer auf! Ich habe schon lange genug von dir. - Gib mir mal ne Zigarette.
GUILLAUME Ich dachte, du rauchst nicht.
CHRISTINE Rede nicht. Gib mir eine. (Er gibt sie ihr. Sie zuendet sie an, blaest den Rauch aus.)
GUILLAUME Auch fuer dich aendern sich die Zeiten. Es gibt bald andere Quellen, die du fuer mich anbohren koenntest.
CHRISTINE Nein danke. Wenn es mit Eckermann vorbei ist, wird es auch mit dir vorbei sein.
GUILLAUME Glaub das nicht; ich werde mich schon durchbeissen.
CHRISTINE Das meine ich nicht. Ich meine deine Besuche bei mir.
GUILLAUME Wieso? Du hast doch ganz gut verdient dabei.
CHRISTINE Darauf haette ich gern verzichtet.

(Man hoert jemanden in die Wohnung kommen. Gleich darauf steht Eckermann im Schlafzimmer, schwer atmend, die Haare wirr.)
ECKERMANN So ist das also. Ihr Hunde. (holt eine Pistole aus der Jacke)
GUILLAUME Spinnst du?
ECKERMANN Nein, ich spinne nicht. So ein entsetzlicher ... Betrug.
GUILLAUME Was soll das? Sie ist eine erwachsene Frau. Kann selbst entscheiden, mit wem sie schlaeft. Und du solltest dich wie ein erwachsener Mann benehmen.
ECKERMANN (wendet sich Christine zu) Du, du ...
CHRISTINE (faengt an zu weinen) Bitte, tu mir nichts. Ich kann nichts dafuer. Glaub mir. Er hat mich erpresst.
ECKERMANN Wie? Was heisst, er hat dich erpresst?
CHRISTINE Bitte glaube mir. Deine Augen taeuschen dich. Guillaume bedeutet mir nichts.
ECKERMANN Du kannst mir viel erzaehlen.
CHRISTINE (weint) Ich habe es nur fuer dich getan. Weil ich Angst hatte, dich zu verlieren. Er hat gesagt, er werde der Presse ein paar Hinweise geben. (Eckermann richtet seine Pistole auf Guillaume, offenbar bereit abzudruecken. Der kriegt jetzt doch Angst.)
GUILLAUME Lass dir nichts erzaehlen, Mensch. Die luegt, wo sie steht und liegt. Spass hat es ihr gemacht mit ihr. (Eckermann erschiesst ihn. Guillaume sackt in sich zusammen.)
CHRISTINE Oh nein! Was hast du gemacht! (Sie beugt sich ueber den blutverschmierten Toten)
ECKERMANN Deinen Liebsten umgebracht.
CHRISTINE Er ist nicht mein ...
ECKERMANN (erschiesst auch sie und dann sich selbst)



7.Szene

Regierungspalast. Amtszimmer des Praesidenten. Lumumba am Schreibtisch. Wehler und Tschou stehen davor.

LUMUMBA Wir hatten eine klare Absprache.
WEHLER Wir hatten mehrere Absprachen, die du alle unterlaufen hast. Jetzt ist das Mass voll.
LUMUMBA Wenn Ihr meinen Ruecktritt wollt, gibt es meines Wissens nur einen Weg.
WEHLER Der waere?
LUMUMBA Das Misstrauensvotum. Seid Ihr sicher, dass Ihr genug Stimmen bekommen werdet?
WEHLER Ich wuerde es nicht darauf ankommen lassen. Es gibt in der Fraktion viele, die schon lange mit dir unzufrieden sind.
LUMUMBA Die meisten werden sich hueten, sich auf ein derart unsicheres Abenteuer einzulassen.
WEHLER Wenn du dich da nicht taeuschst. Ausserdem haben wir die Provinzgouverneure auf unserer Seite.
LUMUMBA Das wundert mich nicht.
WEHLER Sie hatten unter deiner Politik genug zu leiden.
LUMUMBA Die Gouverneure haben immer Schwierigkeiten mit der Zentralgewalt. Sie werden sich wieder beruhigen.
TSCHOU Sieh endlich ein, deine Zeit ist abgelaufen. In der Bevoelkerung, im Parlament, ueberall wird dein Ruecktritt gefordert.
LUMUMBA Lass sie fordern. Ich bin der verfassungsmaessig gewaehlte Praesident. Als solcher werde ich jetzt die Wachen rufen und euch hinausbringen lassen.
WEHLER Die Wachen sind abgezogen. Sie wissen Bescheid.
LUMUMBA Sie wissen Bescheid? Was Ihr hier vorhabt? Wo ist Eckermann? (geht zur Tuer zu Eckermanns Buero und oeffnet sie) Eckermann?
WEHLER Nicht da. Ausschussitzung.
LUMUMBA Ich lasse ihn ausrufen. (greift nach dem Telefonhoerer, waehlt eine Nummer)
TSCHOU Lumumba, bitte. Das ist keine gute Idee.
LUMUMBA Das Telefon ist tot. (versucht es noch einmal) Sogar intern: nichts.
TSCHOU (zu Wehler) Tot?
WEHLER (achselzuckend) Kann sein.
LUMUMBA (versucht es mit seinem Handy) Rauschen. Als ob jemand ... (besinnt sich) Ihr habt gute Arbeit geleistet. Muss ich sagen. (Auftritt Jung)
JUNG Entschuldigen Sie, Herr Praesident!
LUMUMBA Gut, dass Sie da sind. (sieht Jungs besorgten Gesichtsausdruck) Was ist los?
JUNG Etwas sehr seltsames ist im Gange. Die Wachen sind abgezogen und durch eine unbekannte Mannschaft ersetzt worden.
WEHLER Hoeren Sie, Herr Jung, wir haben hier Vertrauliches zu besprechen.
LUMUMBA Nein, bleiben Sie. Die Herren sind fertig.
WEHLER Gehen Sie.
JUNG (bleibt unentschlossen stehen) Das kommt mir spanisch vor.
WEHLER Los. Raus. (Tschou draengt ihn zur Tuer. Handgemenge.)
LUMUMBA (winkt) Gehen Sie, bevor es hier Mord und Totschlag gibt.
JUNG Ich werde draussen stehen bleiben (ab)
WEHLER Wir gehen erst, wenn Du unterschrieben hast.
LUMUMBA Dann werdet ihr hier ganz schoen lange warten muessen. Ich werde jedenfalls Drohungen und Erpressungen, oder was immer ihr in petto habt, nicht nachgeben.
TSCHOU Du solltest es dir ueberlegen. Fuer dich steht einiges auf dem Spiel.
LUMUMBA Was zum Beispiel?
TSCHOU Ob du freiwillig auf der Hoehe deiner Karriere abtrittst, oder mit Schimpf und Schande davon gejagt wirst.
LUMUMBA Leere Drohungen. Fuer euch steht viel mehr auf dem Spiel. Ihr werdet euch wegen Noetigung gerichtlich zu verantworten haben.
WEHLER Ich glaube nicht, dass ein entlarvter Moerder sich lange als Praesident halten kann.
LUMUMBA Eure letzte Karte! Glaubst du, sie sticht? Ihr wuerdet euch selbst ans Messer liefern. (Das Licht faellt aus. Sie stehen im Dunkel.)
TSCHOU Was hat das zu bedeuten?
LUMUMBA Irritiert Dich die Dunkelheit? (Geht auf das grosse Balkonfenster zu, durch das Sterne zu sehen sind. Er oeffnet die Balkontuer und tritt hinaus.) Kommt. - Kommt schon. Damit Ihr mal ein bisschen frische Luft kriegt. Eure Lungen und intriganten Seelen reinigt. (Sie folgen ihm zoegernd) Na, was seht Ihr? Was spuert Ihr? Eine Hoffnung, Zuversicht? Oder ein kaltes, herzloses All, das Euch die Brust zusammenschnuert? Stellt ihr euch nicht manchmal die Frage, ob Ihr ueberhaupt da seid? Oder ob Euer Meinen, Eure Cogito, aus dem Ihr Eure Selbst-Gewissheit schoepft, nicht, einem fluechtigen Nebel gleich, von der duesteren, moerderischen Grenzenlosigkeit da oben aufgesogen und ausgeloescht wird. Wo ist denn euer Cogito? Geht in euch! Sucht es doch mal! Je mehr Ihr Euch darauf konzentriert, desto mehr verschwimmmt es hinter dem blinden Fleck Eures Konzentrationsbemuehens, und droht im Angesicht der Dunkelheit ganz zu versiegen. Fragt Euch doch mal! Seid Ihr wirklich, nur weil Ihr, wenn Ihr Euch zusammenreisst und der Verzweiflung nicht nachgebt, mit mir oder der Frauenbeauftragten Eures Ministeriums Euch herumzuschlagt, mit Wirtschaftsweisen und Waehrungsturbulenzen, Atomkraft und Dosenpfand, dem Oelpreis und der Steuerschaetzung und mit Gesetzesvorlagen, deren Sinngehalt, sobald Ihr genauer darueber nachdenkt, im Nirvana der allgemeinen Bedeutungslosigkeit verschwindet? Welche Gewaehr gibt es ueberhaupt fuer die Wirklichkeit? Seid Ihr nicht in Wahrheit nur biotechnologische Wahrnehmungsapparaturen, die einfach immer weiter laufen, und denen es letztlich egal ist, ob sie von einem Bewusstsein gesteuert werden oder wie unbemannte, jeder Kontrolle enthobene Raumschiffe durch einen trueben tauben Kosmos treiben, eine Fata-Morgana, die sich ebenso schnell verfluechtigen wird wie sie geboren wurde? (Er reisst die Arme hoch und ruft laut) Habt Ihr Angst? (Sie zucken in der Dunkelheit zurueck.) Ja, Ihr habt Angst. Die paar mikrigen Lichtpunkte da oben koennen sie nicht lindern. Ihr seid voll Panik, dass euer Bewusstsein gleich aussetzen wird, Ihr atmet hastig, das Blut schiesst Euch ins Gehirn, und Ihr muesst euch zwingen, dem Impuls, schnell wegzurennen, nicht nachzugeben. - Dass ich vor Euch kapituliere, kommt auf keinen Fall in Frage.



8.Szene

Regierungspalast. Amtszimmer des Praesidenten. Wehler und Tschou vor dem Schreibtisch, Lumumba dahinter. Pinochet stuermt mit seinen Leuten hinein.

PINOCHET Sie sind verhaftet, meine Herren.
LUMUMBA Was soll das?
OFFIZIER Los, los. An die Wand bitte, alle drei.
(Lumumba und Tschou stellen sich ergeben an die Wand.)
WEHLER Ich weigere mich. (Ein Soldat stoesst ihn auf Pinochets Wink zu den anderen.)
LUMUMBA Koennen Sie uns wenigstens sagen, was das zu bedeuten hat? Was Sie vorhaben?
PINOCHET Ganz einfach. Sie sind abgesetzt. Ihrer Aemter und Befugnisse mit sofortiger Wirkung enthoben.
LUMUMBA Ein Staatsstreich.
PINOCHET So wuerde ich das nicht nennen. Sie haben die Unterstuetzung der Mehrheit schon lange verloren. Wir als Militaers, die wir die Mittel dazu haben, vollziehen lediglich den Willen des Volkes.
LUMUMBA So einfach ist das: ein General meint, der gewaehlte Praesident gefaellt nicht mehr ...
PINOCHET Nicht ich allein. Sehen Sie sich die Umfragen an, die Streiks, die taeglichen Demonstrationen, den wirtschaftlichen Absturz, den sie nicht aufgehalten, sondern im Gegenteil noch beschleunigt haben. Wir brauchen eine Regierung, die diese Probleme ruecksichtslos angeht.
LUMUMBA Glauben Sie ja nicht, dass Sie damit durchkommen. Eine Regierung, die auf einer kriminellen Verschwoerung beruht, wird keine Anerkennung finden. Niemals.
OFFIZIER Sollen wir ...
TSCHOU (unterbricht ihn) Wenn wir etwas sagen duerften, Herr General?
PINOCHET Ja?
WEHLER Wenn wir Ihnen eroeffnen wuerden, dass wir gerade dabei waren, den Praesidenten zum Ruecktritt zu bewegen, und zwar mit genau denselben Argumenten.
PINOCHET Was soll ich dazu sagen? Sie sind mir ebenso unsympathisch wie Lumumba. Und wahrscheinlich gefaehrlicher.
WEHLER Sympathisch, unsympathisch, das sind keine politischen Kategorien. Man muss zusammenarbeiten, wenn es die Lage erfordert.
PINOCHET Warum sollte ich? Ich bin kein Politiker.
WEHLER Um einen Buergerkrieg zu vermeiden.
PINOCHET Keine Angst, mir stehen genuegend Truppen zur Verfuegung.
TSCHOU Das Problem ist nur: Ihr Vorgehen ist illegal. Wir dagegen haben das verfassungsmaessige Recht auf unserer Seite.
LUMUMBA (lacht)
WEHLER Die Parlamentsmehrheit wird Lumumba das Misstrauen aussprechen und einen neuen Praesidenten waehlen.
PINOCHET Und wen?
WEHLER (zeigt auf Tschou) Den Vizepraesidenten und Wirtschaftsminister.
PINOCHET Den Teufel mit Beelzebub austreiben.
WEHLER Nochmals: Wir bieten Ihnen unsere Zusammenarbeit an.
WEHLER Eine Regierung der nationalen Einheit, in der Sie in fuehrender Funktion vertreten sein werden.
TSCHOU Ihre momentane Eigenmaechtigkeit wird ohne Folgen bleiben.
PINOCHET Da bin ich aber beruhigt.
WEHLER Im Ernst, Herr General. Das ist ein Angebot.
LUMUMBA (zu Pinochet) Glauben Sie ihnen kein Wort. Ihr Vorgehen ist nicht weniger ruchlos und widerlich als Ihres. Ausserdem fehlen Ihnen die Mehrheiten.
PINOCHET Ich weiss selber, was von solchen Angeboten zu halten ist. Ich habe mich schon viel zu oft von der Politik einwickeln lassen. Jetzt reicht es mir. Jetzt werden wir Soldaten zeigen, wie schnell man einen unfaehigen Praesidenten los wird und ein Staatswesen wieder in Ordnung bringt. Maenner! Wir gehen vor, wie besprochen. Jeder Widerstand wird im Keim erstickt. Im Amtszimmer des Praesidenten hat es Widerstand gegeben. (Die Soldaten stellen sich wie ein Erschiessungskommando auf.)
WEHLER Was soll das?
LUMUMBA Was? Was haben Sie vor? - Das kann nicht Ihr Ernst sein.
TSCHOU Nein bitte, lassen Sie uns leben.
WEHLER Reiss Dich zusammen.
TSCHOU (zu Pinochet:) Bitte! Bitte! (Faellt, dem Zusammenbruch nah, auf die Knie)
OFFIZIER (herrscht ihn an) Die Haende hoch!
WEHLER (zu Lumumba:) Na, wo ist deine Ruhe und Gelassenheit? Das dunkle, kalte Universum, das unsere Koerper und Seelen sowieso verschlingen wird? Wozu an diesem Leben kleben?
OFFIZIER Legt an! (Sie zielen auf die mit erhobenen Haenden an der Wand stehenden Politiker.)
LUMUMBA Zum Zeugnis fuer die Nachwelt: Es lebe der heilige ...
OFFIZIER Feuer! (Die Soldaten schiessen; die drei fallen toedlich getroffen zu Boden)
(Auftritt Buck)
BUCK (entsetzt) Was ist denn hier los?
PINOCHET Gar nichts ist los. Hat irgendjemand irgendetwas gesehen?
CHOR DER SOLDATEN Wir haben nichts gesehen.
PINOCHET (zu Buck) Was meinen Sie?
BUCK Ich habe Schuesse gehoert. (sieht die am Boden Liegenden)
PINOCHET Sehen Sie nicht hin. - Herr Botschafter, Sie haben mir einmal gesagt, aussergewoehnliche Umstaende verlangten aussergewoehnliche Massnahmen. Die habe ich hiermit ergriffen.
PINOCHET (zum Offizier) Bitte teilen Sie dem Botschafter mit, was hier vorgefallen hat.
OFFIZIER Zu Befehl. Der Praesident ist von seinen innerparteilichen Widersachern umgebracht worden, die wir, da sie Gegenwehr geleistet haben, daraufhin leider erschiessen mussten.
BUCK Das ist ja furchtbar.
PINOCHET Meine persoenliche Meinung ist, wenn die Anfuehrer erledigt sind, wird manches leichter.
BUCK Oder sie werden zu Maertyrern.
(Auftritt Milster)
MILSTER Wo ist der Praesident?
BUCK Dort am Boden.
MILSTER Und die anderen? Meine Guete. - Wo ist Eckermann?
PINOCHET Ich muss Sie leider festnehmen.
MILSTER Mit welchem Recht? Als gewaehlter Abgeordneter geniesse ich Immunitaet.
PINOCHET Mit dem Recht des Staerkeren.
BUCK Bitte, seien Sie vorsichtig. Zerschlagen Sie nicht zu viel Porzellan.
PINOCHET Ausnahmezustand. Wir rufen den Ausnahmezustand aus und nehmen einige Leute vorsorglich in Schutzhaft.
MILSTER Und welcher Ihrer Lakaien wird den Praesidenten mimen?
PINOCHET Das wird zu gegebener Zeit entschieden. Moeglicherweise werde ich die Aufgabe selbst uebernehmen.

(Ende des Stueckes)

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