+++s8.unx Nur wenige Wochen waren vergangen. Doch in ihrem Leben hatte sich Einiges getan. Sie hatten die Klopstockterasse aufgegeben, waren ausgezogen wie junge Dachse aus einem unsicheren Bau und wohnten jetzt bei der Sternschanze, das heisst 'wohnen' war zuviel gesagt, so konnte man das Chaos nicht nennen, das im Moment dort regierte. So gut wie alles musste in der neuen Wohnung repariert werden, angefangen bei der lecken WC-Schuessel, so dass sie in den ersten Tagen nicht aufs Klo konnten, aber wenigstens DAS war inzwischen geloest. Ansonsten sah es immer noch so aus, dass man nicht unterscheiden konnte, ob es sich um Abbruch- oder Renovierungsarbeiten handelte. ------- Richard war auf dem Weg von Dagmar zurueck zur Sternschanze, bei ihr konnte er sich von dem deprimierenden Chaos ablenken, wenigstens hatte er geglaubt, dass er sich ablenken koennte, tatsaechlich war sie ihm mit Vorwuerfen gekommen. Wie meist hatten sie sich am Elbufer getroffen und wie meist war es ihm ein bisschen peinlich gewesen, mit ihr gesehen zu werden, besonders da er meinte, sie sei in letzter Zeit noch dicker geworden (was seinen Begierden merkwuerdigerweise keinen Abbruch tat). Und waehrend er versuchte, sie an sich zu ziehen, hielt sie ihm vor, wie selten er sich bei ihr melde, immer muesse zuerst sie aktiv werden, er scheine sich kaum noch fuer sie zu interessieren, anders lasse sich sein Verhalten nicht deuten. "Ich habe von Muenchen fast jeden Tag angerufen", verteidigte er sich. "Aber seit du zurueck bist, hast du dich kaum mal geruehrt. Ich habe wirklich das Gefuehl, dass du an mir als Person ueberhaupt kein Interesse mehr hast, ausser um mit mir zu schlafen", und damit schob sie ihn von sich. "Das stimmt nicht, ich liebe dich", beschwichtigte er und versuchte weiter vergeblich, nach ihrer Taille zu fassen. "Wir hatten aber soviel mit dem Umzug zu tun, es musste alles ganz schnell gehen, die Stadt hatte die Handwerker schon bestellt, die momentan in der Klopstockterasse alles von unten nach oben kehren, insofern war der Einbruch eine Art Gluecksfall, wir haetten sonst nichts unternommen und waeren ihnen direkt ins Messer gelaufen." "Und jetzt bist du weggezogen, und wohnst gar nicht mehr in meiner Naehe. Es ist fast, als ob du in einer anderen Stadt leben wuerdest, und genauso selten meldest du dich auch. Wenn du ueberhaupt kommst, willst du mich nur begrapschen, und danach verschwindest du wieder." "Ich sage doch, ich habe im Moment so viel mit der Renovierung zu tun", versetzte er genervt. "Ach, frueher waren es deine Pruefungen, die du vorgeschuetzt hast, und jetzt die Renovierung ..." "Dafuer kann ich doch wirklich nichts ..." "Wenn du dich wenigstens auch mal mit mir unterhalten wuerdest. Ich moechte so gern an deinem Leben teilhaben, aber ich habe das Gefuehl, dass du mich total ausschliesst. Ausser wenn es um Sex geht." "Es ist einfach so schoen, dich anzufassen; und da ich wenig Zeit habe, fange ich eben mit den Sachen an, die mir am meisten Spass machen. Bitte komm Dagmar, gleich ist deine Pause vorbei, verdirb uns nicht die paar Minuten." Aber sie wollte nicht. "Es gibt auch andere schoene Dinge als Sex, die man zusammen machen kann. Warum sperrst du dich gegen alles, warum oeffnest du dich nicht?" "Ich bin eben eher der verschlossene Typ, ich gehe nicht so leicht aus mir raus, aber das heisst nicht, dass ich dich nicht liebe. Und wenn ich mehr Zeit haette, wuerde ich auch schon mehr mit dir unternehmen. Du kannst doch auch jederzeit in der Schanze vorbeikommen." "Ach, wir wissen doch, wie das ablaeuft, du hast immer irgendwas anderes wor. - Wie sieht es zum Beispiel mit heute abend aus", fragte sie herausfordernd. Er zoegerte. Dann sagte er: "Es tut mir leid, heute geht es leider nicht, das heisst, spaeter am Abend wahrscheinlich schon, das heisst, ich weiss nicht." Er hatte sich mit einer Anderen verabredet und war sich der Luege bewusst (eine fundamentale Luege, so existentiell wie alles, was mit unserem Entstehen und Vergehen zu tun hat) und nicht stark genug, sich der frueher selbst auferlegten Moral zu beugen, er spuerte nur den unentwirrbaren Widerspruch und liess ihn bestehen. "Da siehst du's, du weisst nicht, ob du mich ueberhaupt sehen oder lieber mit deinen tollen Freunden was unternehmen willst ...." "Nein, nein, so ist es ueberhaupt nicht, heute ist ein Sonderfall, da geht es eben nicht, aber morgen oder uebermorgen, jederzeit." "Ja, du redest immer schoen ... ausserdem, selbst wenn ich komme ... zu euch, das ist eine halbe Tagesreise, ihr haettet wenigstens versuchen koennen, etwas in Ottensen zu finden." "Mensch, Dagmar, ich war mit Werner ein paarmal bei Besichtigungen, da treten sich Dutzende Wohnungsuchende auf die Fuesse, der Markt ist total leergefegt, besonders hier am Elbhang und in der Preisklasse, die wir bezahlen koennen; und das Schanzenviertel ist doch wirklich nicht aus der Welt, ich weiss nicht, was du fuer Ansprueche stellst, du kannst doch nicht erwarten, dass dein Freund immer gleich um die Ecke wohnt." "Ich weiss, ich kann gar nichts erwarten", sagte sie tonlos. "Und ich darf auch keine Ansprueche stellen. - Vielleicht sollten wir einfach Schluss machen. Das waere doch auch in deinem Sinn, wenn du mal ehrlich bist." Er ahnte (ohne es freilich genau zu wissen), wenn er zustimmte, waren sie am Ende. Wenn er aber das Gegenteil beteuerte, konnten sie noch jahrelang so weitermachen. - Warum aber haette er zustimmen sollen? Abgesehen von solchen Kabbeleien, ueberwogen in ihrer Beziehung eindeutig die Vorteile fuer ihn, er begehrte sie und hatte das Gefuehl, dass Dagmar ihn ziemlich gern hatte, man musste nur aufpassen, dass das Ungleichgewicht nicht zu gross wurde, er wuerde also in Zukunft mehr investieren muessen, das war klar. Er beteuerte also, dass er sich auf keinen Fall von ihr trennen wolle, und zusehen werde, dass sie nicht so unzufrieden bleibe, manches stehe einfach nicht in seiner Macht, wie der Umzug und die Pruefungen, ansonsten aber werde er alles tun ... und so weiter. Man sah ihr an, sie glaubte ihm nicht, und vielleicht haette sie wieder losgelegt mit den Vorwuerfen, doch da war die Pause wirklich vorbei, und sie trennten sich mit einem angedeuteten Kopfnicken und schalen Gefuehlen. Und den halben Weg hatte er nachgedacht, wie es mit ihnen weitergehen wuerde, und keine Loesung gefunden, und die andere Haelfte, ob es richtig war, sich mit dieser Doreen zu treffen, und erst als er in die Sternschanze einbog und sein neues Zuhause erblickte, kam er auf andere Gedanken, der Umzug war total chaotisch gewesen, er hatte den ganzen Krempel, den die Einbrecher zusammengeruehrt oder kaputt gemacht hatten, in eilig bei Supermaerkten erbettelte Bananenkisten geworfen, weil die Zeit knapp war und in der Sternschanze soviel zu renovieren war, und das musste zuerst erledigt werden, vorher machte das Auspacken und Einrichten keinen Sinn, aber die Renovierung zog sich wochenlang hin, und nun fand er viele Sachen gar nicht mehr wieder, Pullover, die er brauchte, weil es auf den Winter zuging, lagen unauffindbar in Kisten verstreut bei Vorlesungsskripten und Praktikumsaufzeichnungen, und selbst Werkzeug musste neu angeschafft werden, weil es partout nicht zum Vorschein kam, vielleicht waren Kisten beim Transport verlorengegangen, schlicht aus dem Auto gefallen oder in der Klopstockterasse vergessen worden, und die Handwerker hatten sie fuer Muell gehalten und in ihren Containern entsorgt. Er schloss auf und steckte den Kopf in die Tuer. Dahinter stapelten sich Kisten bis zur Decke, die er kurzerhand wegdrueckte, um besser hereinzukommen, wobei die oberste beinah ins Trudeln geriet. Auf dem Boden vor der Wohnungstuer lag eine dicke Staubschicht, so dass man von dem weinrot lackierten Holzboden im Hausflur nichts wahrnahm. Die Nachbarn fingen schon an, sich ueber den Dreck und den Laerm zu beschweren. "Das muessen sie abkoennen", hatte Werner gemeint, "das ist nunmal so". Als sie dann aber bei Installationsarbeiten das Hauptrohr beschaedigten und die Kueche unter Wasser setzten, hatten sie die Mieter im Parterre ziemlich beruhigen muessen ... Er ruderte durch den Flur auf sein Zimmer zu. Auf dem Stuhl lag der zerschlissene blaue Overall, den er irgendwo geerbt hatte. Er schluepfte hinein und stuelpte sich eine Papiermuetze auf den Kopf, sonst kriegte man den Dreck nachher nicht aus den Haaren. Er war allein. Werner und Andreas waren schon frueh zur Uni gefahren und wuerden erst nachmittags heimkommen. Er hatte die Woche geschwaenzt, bei den vielen Plaenen, die sie mit der Wohnung hatten, konnte er sich im Moment nicht aufs Studium konzentrieren, jetzt in Hoersaelen herumzuhocken, waehrend hier alles liegenblieb, haette ihn wahnsinnig gemacht, er verlor schon genug Zeit mit seinen Getechteln. "Jetzt gilts", dachte er und begann wie ein Besessener Putz aufzutragen, an der Stelle, wo er fruehmorgens aufgehoert hatte, und geriet dabei reichlich ins Schwitzen, weil er unruhig war, und schnell fertig werden wollte, aber die Wand beachtliche Ausmasse hatte und sich nicht in ein, zwei Stunden erledigen liess. Ausserdem wurde er staendig durch neugierige Besucher von der Arbeit abgehalten, erst waren Otto und Corinna da und stolperten durch das Chaos, und lachten. "Wir wollten nur sehen, wie weit ihr seid. - Mann, du hast dich ja toll ausstaffiert. Willst wohl ne neue Mode kreieren." "Setzt euch erstmal", sagte er ergeben. "Ich brauch sowieso ne Pause." "Wahnsinn", sagte Otto, umherblickend, "da habt ihr ja noch einiges vor", und Corinna nickte dazu, waehrend Richard sich fragte, was die beiden dazu brachte, zu dieser fuer Otto so fruehen Stunde zusammen hier aufzukreuzen, mit der Betonung auf 'zusammen' wohlgemerkt. Und er erzaehlte, wie sich alles entwickelt hatte, warum sie den schoenen Elbblick so holterdiepolter verloren und gegen diese 0-8-15 Sozialwohnung eingetauscht hatten, und was sie fuer Plaene hatten, und irgendwann nahm Otto Corinnas Hand und sagte: "Wir haben auch Plaene, wir sind verliebt." "Aha", machte Richard. "Und was ist mit Gabi?" "Ach Gabi", sagte Otto. "Mit der ist nichts mehr, mit der hatte ich zum Schluss dasselbe Problem wie mit Ulla. An-un-fuer-sich nette Frauen, die beiden" - Seitenblick auf Corinna - "aber unertraeglich in schwierigen Situationen, direkt penetrant, und Gabi war noch extremer, besonders mit dem Emanzengetue, das sie bei ihren Freundinnen abgeguckt hat, mir ist das total auf die Nerven gegangen, und dadurch hab ich gemerkt, Corinna gefaellt mir viel besser." Damit wandte er sich seiner neuen Freundin zu und blickte ihr so lange so tief in die Augen, dass Richard schon meinte, die beiden haetten ihn vergessen. Ihr Besuch diente hautpsaechlich dazu, irgendwas gemeinsam zu machen, wie Verliebte so sind, sie wollen ihre Zeit zusammen verbringen, und WAS sie dabei tun, ob sie nun Spatzen im Park beobachten oder einen Bauhilfsarbeiter beim Ausschachten seiner vergammelten Wohnung, ist ihnen herzlich egal, und bevor er weiter untaetig hier herumhockte, sollte er mit der Arbeit fortfahren, fiel ihm ein, doch er haette gern noch gewusst, wo und wie sie sich naehergekommen waren und wie das mit Gabi im einzelnen abgegangen war, aber dann dachte er, so neugierig bin ich auch wieder nicht, und verabschiedete sie ziemlich unhoeflich, wodurch ihre Laune sich keineswegs truebte, "ihr werdet das bestimmt super hinkriegen", sagte Otto noch, dann waren sie weg. Eine halbe Stunde spaeter klopfte es erneut an der Tuer. Mann, war das nervig! Wenn es so weiterging, wuerde er mit dem Verputzen nie fertigwerden. Ergeben trottete er in den Flur. Durch die Milchglasscheibe erkannte er Alis verschwommene Umrisse. Sie begruessten sich wie abgeklaerte Feinde, das heisst, ohne eine Miene dabei zu verziehen. "Eure Klingel scheint nicht in Ordnung zu sein. Ich habe mindestens zehn Minuten vor der Haustuer gestanden, bis mich einer reingelassen hat." "Ich weiss", sagte Richard, "hier fehlt's noch an Einigem." Um sich keine Bloesse zu geben, setzte er nach: "aber wir haben uns vorgenommen, alles perfekt und professionell hinzukriegen, und manches ist auch schon fertig." "Ja wirklich, das sieht man", sagte Ali und deutete auf das kunstvoll gefertigte Malermuetzchen, das schief in Richards putzverkrusteten Haaren hing. "Hat meine Mutter gemacht", lachte der, und das war nun wirklich die volle Bloesse und Breitseite. "Egal", dachte er und zeigte Ali die Zimmer. "Mann, ihr seid hier echt am rumroedeln. In Berlin brauchte ich vor dem Einzug gar nichts zu machen." "Du, wenn wir gewollt haetten ... wir haetten auch alles so lassen koennen. War halt ziemlich versifft, die Bude, und ausserdem haben wir gemeint, das ist jetzt unsere Wohnung, aus der uns keiner mehr rauskriegt, da wollten wir's gleich richtig machen." "Hauptsache, ihr kommt nicht in Schwierigkeiten, wenn ihr hier neue Waende einzieht." "Glaube ich nicht, sind ja nur Gipsplatten." "Wie gross ist die Wohnung eigentlich?" "Also, nicht besonders, ich glaube 90 Quadratmeter, mit der Klopstockterasse laesst sich das nicht vergleichen. Wer in der Klopstockterasse gewohnt hat, kommt sich hier zuerst wie im Maeusekaefig vor; ... weil es praktisch nur den einen Flur gibt. Wenigstens sind die Zimmer schoen hoch und luftig." "Und wer zieht alles mit ein, ich meine, ausser dir und Werner?" "Der Andreas Schaefer auf jeden Fall, und fuer das vierte Zimmer suchen wir noch jemanden, moeglichst ne Frau. Wir hatten auch schon diverse Gespraeche, aber es ist gar nicht so leicht, manche sind anspruchsvoll, denen ist das Zimmer zu klein und die Wohnung zu popelig, oder sie trauen uns nicht zu, die Renovierung so schnell auf die Reihe zu kriegen. - Andere wollen nicht mit drei Maennern zusammenhausen ... zwei und zwei waere mir persoenlich auch lieber gewesen, aber wir konnten Andi nicht laenger hinhalten." "Ja richtig, du warst gar nicht erbaut von ihm. Hast du nicht erzaehlt, sein Vater ist n alter Nazi?" "Nein, nein, nun nicht mehr, nur waehrend der Hitlerzeit", sagte Richard. "Ausserdem kann man dem Sohn das nicht vorwerfen." Er wechselte das Thema: "Warst du inzwischen noch mal in der Klopstockterasse?" "Nein wieso?, ich bin doch die ganze Zeit in Berlin gewesen, hatte viel zu erledigen, einrichten, Behoerdenkram und so." "Sind schon die Baumaschinen drin, sie reissen so ziemlich alles raus bis auf die Waende, Entkernung nennen sie das, es sieht da noch schlimmer aus als hier." "Naja, was hast du denn gedacht, bourgeoisen Anspruechen hat es laengst nicht mehr genuegt, die sanitaeren Anlagen und so, die elektrischen Leitungen, dauernd ist der Strom ausgefallen, das Parkett war schon halb am faulen. Der neue Besitzer hat halt die Kohle, baut sich wahrscheinlich Zentralheizung ein. Weisst du uebrigens, wem sie es letztlich verkauft haben?" "Irgendnem leitenden Ingenieur von MBB, der da mit seiner Familie einziehen wird - der Friseur hat es nicht bekommen." "Na sieh mal an, Ingenieur", sagte Ali vielsagend, beliess es aber dabei. - "Und ihr? Ich seh schon, ihr habt praktisch alles aus der Klopstockterasse rausgeholt, was sich rausholen liess, die alte Kueche zum Beispiel." "Du wolltest sie ja nicht haben." Es klopfte wieder an der Tuer. "Au, schon halb zwei, das wird die Doreen sein. Du, ich bin jetzt verabredet, es tut mir leid ... du hast deinen Besuch nicht angemeldet ...", sagte er hektisch und hastete in den Flur, waehrend Ali ihm hinterherwarf, er solle sich nicht stoeren lassen, er sei nur gekommen, die restlichen Sachen abzuholen. Dann kam Richard zurueck, mit der Dame im Schlepptau: "ja, das ist Doreen, ihr kennt euch schon". "Kennen ist zuviel gesagt", laechelte Ali. "Ich hab mich auf eurer Veranstaltung hauptsaechlich um Willi gekuemmert." Richard fing einen merkwuerdig langen Blick zwischen den Beiden auf, und sagte: "Doreen und ich wollen das Wetter ausnutzen und ein bisschen Richtung Poppenbuettel radeln und vielleicht an der Alster spazierengehen." "Aber musst du hier nicht weitermachen?", fragte sie. "Ein paar Stunden kann ich schon entbehren. Wir werden hier sowieso nicht so bald fertig, wir haben bisher nur die Grundlagen geschaffen, wie du siehst, der Feinschliff fehlt noch; aber wir haben uns gesagt, ein bisschen Renovierung ist nicht genug, wir wollen es gleich richtig machen, du siehst ja die Zementsaecke, wir wollen noch einiges aendern, besonders hier in dem grossen Zimmer ...", redete er drauflos und fuehrte sie durch die Wohnung, im Grunde froh, Ali dabei zu haben, so kam keine Peinlichkeit auf, oder nur eine kleine, unbedeutende, gegenueber dieser Frau, die man unweigerlich als schoen einstufen musste, nach all seinen Erfahrungen zu schoen, fuer ihn jedenfalls und im Vergleich zu Dagmar, geheimnisvoll schoen in dem Sinne, dass man niemals verstehen wuerde, was in ihr vorging, und wem sie aus welchen Gruenden sich hingab. Konnte sie, nur zum Beispiel, einer Versuchung wie Ali widerstehen? Denn nun vollzog sich, wie ein naturgesetzliches Ereignis, eine Attraktion zwischen Ali und ihr, wie zwischen zwei hellen, schweren Sonnen, etwas, das Richard schon mehrmals erlebt hatte, wenn Ali sich mit einer Frau unterhielt, so dass ihn der Vorgang an sich nicht sonderlich ueberraschte, beinahe unmerklich begannen die Beiden, ausschliesslich aufeinander sich zu beziehen, Ali konzentrierte sich auf ihre wie Tau glaenzenden Augen, auf das unergruendliche Blau ihrer Iris und das leuchtende Weiss ihres Augapfels, und noch ein paar andere Dinge, und Richard fand sich an den Rand geschleudert, seine Anwesenheit bedeutungslos wie ein Traum, ohne Auswirkung auf die in jenem Paar sich konzentrierende wirkliche Welt, und natuerlich empfand er dies Ausgeschlossensein viel staerker als vorhin bei Corinna und Otto, weil er Hoffnungen hegte. Und waehrend er sich vor verhaltenem Zorn innerlich kruemmte, waren sie auf die Germanistik gekommen (von beiden im siebten Semester abgebrochen), und von dort auf Sappho, die Griechin und angeblich aelteste feministische Autorin, mit welcher Doreen sich intensiv beschaeftigt hatte, und auch Ali kannte sich aus und wusste jede Menge zu sagen, nicht umsonst hatte er halbe Semester in entsprechenden Seminaren gehockt, obwohl Richard nicht einleuchtete, warum sie in seiner Gegenwart ausgerechnet auf dieses Thema kamen, es stand auf einmal im Raum und eignete sich fuer Alis Zauberkniffe wie jedes andere Thema sich geeignet haette, und sie waren auch schon fast wieder woanders, bei seinem Umzug und neuen Leben in Berlin, als es Richard zu bunt wurde, er war nicht wie Martin, untaetig zusehen, wie andere Typen sich ihre Gelegenheit machten ... "He", sagte er barsch zu Ali, und es war wirklich ein unhoefliches Ins-Wort-fallen, aber anders war ihnen nicht beizukommen, sie kannten kein Punkt und kein Komma in ihrem Geplauder, "sagtest du nicht, dass du nur deine Sachen holen und gleich wieder verschwinden wolltest?" Unwillig wandte sich Ali ihm zu. Der Ausdruck seiner Augen wurde feindselig. "So eilig hab ich es auch wieder nicht." Und dann versuchte er, zu Doreen und ihrem tauglaenzenden Blick zurueckzufinden. Was ihm durchaus gelang; ein Weltmann kann nicht nur den Ausdruck der Augen, auch Tonfall und seine ganze Koerperhaltung auf ein Fingerschnipsen neu tarieren, und das zahlt sich nicht nur bei der Partnersuche aus, und macht Spass, besonders wenn vom Gegenueber etwas zurueckkommt, Reaktionen, Verstaendnis. Doch da wurde Richard richtig brutal, die vorherige Unfreundlichkeit war nichts gegen den folgenden Ausbruch. "Hoer mal", rief er ruede, "ich moechte, dass du hier abhaust, und zwar schnell, ich will, dass du sofort die Wohnung verlaesst", und das war wirklich happig; doch er hatte genug von dem Flachlandtheater, wozu sich zurueckhalten, Ali war sowieso nicht mehr sein Freund, sie wuerden sich kaum noch allzu oft sehen, und was Doreen anging ... am besten, sie merkte gleich, mit wem sie es zu tun hatte! Mit Ali poussieren! Was wollte sie ueberhaupt? - Er verstand nicht, dass man mit peinlichen Auftritten keine Symapthien gewinnt. Trotzdem erreichte er fuer diesmal sein Ziel. "Ja warum denn", haette Ali zwar fragen koennen, und sich stur stellen, so dass der Streit eskaliert waere. Doch er konnte sich denken, wie es dann weitergehen wuerde: "weil ICH mit ihr verabredet bin, und weil ich dich und deine speziellen Faehigkeiten, mit den Weibern umzugehen, leid bin, und wenn sich Doreen lieber mit dir treffen will, soll sie das sagen, aber dann koennt ihr beide hier sofort verschwinden und mich bitte in Ruhe lassen", und weil zweitens die aggressive Rede ihre abtoernende Wirkung nicht verfehlte und weil er drittens an ihren wie Tau glaenzenden Augen erkannte (so sehr sie auch in den seinen versanken), sie haette irritiert und bedauernd den Kopf geschuettelt, "nein, tut mir leid, ich bin mit Richard verabredet", und all dies, was er in einer einzigen Sekunde erkannte, wovon Richard jedoch niemals das geringste mitkriegen wuerde, selbst wenn man ihm Zeit liesse bis ans Ende der Tage, hinderte ihn, hier mehr zu versuchen, oder ihm auch nur die gebuehrende Antwort zu geben, und - nach einen kurzen "Salut!" zu Doreen - griff er sich seine Tueten und Schachteln, und ging fort, und das war das letzte, was Richard je von ihm sah. Ihm war das nur recht, und auch sie liess sich von dem Abgang nur kurz irritieren, Ali war zwar ganz unterhaltsam und interessant, doch wozu sich verrenken, Typen wie ihn gab es zuhauf, auch in ihrer Kommune, samt und sonders hinter ihr her, auf einen mehr oder weniger kam es nicht an. So schwangen sie sich trotz ziemlicher Kaelte kurz danach auf die Raeder, beides alte Modelle, von wer weiss wem geerbt oder vom Sperrmuell zusammengeklaubt, und pedalten durch mickrige Gruenanlagen der Alster zu, das heisst dem Fluss, der den bekannteren gleichnamigen See speist, und als sie dort ankamen, hatte Doreen Ali schon vergessen, und Richard, wenn er sie von der Seite betrachtete, war allzu geneigt, sie fuer die huebscheste Frau ueberhaupt zu halten, geheimnisvoll, undurchsichtig, gewiss, unbestritten, denn warum sie ihre fruehere Meinung geaendert und sich ploetzlich mit ihm verabredet hatte, darueber gab es noch immer kein Zeichen. Ihm war das auch recht. Seitdem er Dagmar kannte, stand er nicht mehr so auf dem Schlauch, und wenn eine Frau nicht wollte, ok, dann wollte sie nicht. Dass er wegen irgendeiner Tante tagelang total ungluecklich herumhing, wuerde so schnell nicht mehr vorkommen. Sicher, wenn sich eine wie Doreen in ihn verliebte, das waere schon toll, aber nach aller Erfahrung ganz unwahrscheinlich. Vielleicht war es diese leicht ueberhebliche Einstellung, die das Rendesvouz zum Scheitern verurteilte, wuerde er hinterher denken, und dass er sich mehr ins Zeug haette legen muessen, um etwas bei ihr zu erreichen. - Wenn er gewusst haette! Keine Anstrengung waere gross genug gewesen, das EINE Hindernis zu ueberwinden ... ausser, sofort in die OAA einzutreten. Sie schlossen ihre Raeder an ein Strassenschild und wanderten auf einer schmalen Allee am Fluss entlang. Die Alster floss in grosszuegigen Boegen durch die flache Landschaft. Am anderen Ufer standen die Haeuser der Privilegierten, grosse lackgetuenchte Holzvillen im Ostkuestenstil mit breiten Veranden, von wo man ueber ueppige sorgsam geschnittete Rasenflaechen zu verlassenen weissen Stegen gelangte, an denen wippende Boote vertaeut waren und frierende Schwaene sich treiben liessen. Er sah, wie das Licht des Flusses und die Schatten der Baeume sich auf ihren Honighaaren spiegelten. "Wir haben wirklich Glueck mit dem Wetter", bemerkte sie. "Ja", stimmte er zu. "Es wurde auch langsam Zeit. Es kommt selten vor, aber ab und zu muss auch in Hamburg mal die Sonne scheinen. Die letzten vier Wochen hat es tatsaechlich ununterbrochen geregnet. Meine Buecher und Moebel sind beim Umzug voll nass geworden. - In Oesterreich hattet ihr garantiert besseres Wetter." "Ich kann mich nicht beschweren", sagte sie. Sie hatte das Innere der Wiener OAA-Zentrale kennengelernt, einschliesslich des Meisters und seiner wichtigsten Mitarbeiter, besonders Arved, den Finanzvorstand, der das Vermoegen verwaltete, das immer reichlicher floss, und mit dem sie eine Art von Beziehung eingegangen war, jedenfalls das, was in der OAA an Beziehung erlaubt war. "Uebrigens, es tut mir leid, dich in meinen Streit mit Ali hinein gezogen zu haben. Es mag dir vielleicht nicht einleuchten, aber die ganze Auseinandersetzung hatte im Grunde nur an der Oberflaeche mit dir zu tun" - ausser mit deiner Attraktivitaet, dachte er, aber er sagte es nicht, so etwas wagte er Frauen nicht zu sagen, hatte es nie gewagt; dabei konnte man nur damit Punkte machen, und nicht mit dieser neutralen, scheinrationalen Art, die er meistens hervorkehrte - "Ein Aussenstehender weiss das natuerlich nicht, aber wir haben uns zuletzt nur noch gestritten. Ich war froh, als er endlich auszog." "Ich kann mir vorstellen, dass er manchmal ziemlich schwierig ist", gab sie bereitwillig zu. "Willi war ganz schoen sauer auf ihn, an dem Abend, als ihr da wart." "Das kann ich verstehen", lachte Richard und sagte dann weise: "Ali ist nicht schlechter als Andere, jeder von uns ist mal freundlich, mal uebel drauf; vorhin, in der Sternschanze, war eher ich das destruktive Element, weil es mich nervte, dass ... - ach was, Ali und ich, frueher waren wir Freunde und nun haben wir uns eben auseinander entwickelt, ausserdem sind Sachen vorgefallen, ueber die man so einfach nicht wegkommt. Da ist es besser, einen Schlussstrich zu ziehen." "Ich glaube, er sieht das auch so", sagte sie knapp. "Eine Zeitlang waren wir wirklich eng befreundet, kurz nachdem ich in die Klopstockterasse eingezogen bin, ich war neu in Hamburg und da haben wir sehr viel zusammen gemacht und uns unheimlich gut verstanden, da war wirklich eine gemeinsame Ebene, und man meint natuerlich, das bleibt so, aber man aendert sich, das war eben eine bestimmte Phase in meinem Leben, und jetzt bin ich in einer anderen Phase, und mit Ali brauche ich mich nicht mehr zu beschaeftigen und kann stattdessen mit dir die herrliche Aussicht geniessen." "Es ist schoen, dass du eine nicht ganz so negative Meinung ueber die OAA hast wie Ali", sagte sie. "Hat dir der Abend neulich eigentlich zugesagt? Willi moechte das auch gern wissen. Uns ist aufgefallen, dass du die meiste Zeit stumm dagesessen und durch die vielen abwegigen Diskussionen vielleicht ein falsches Bild bekommen hast." "Gut moeglich", sagte er hoeflich und blickte in ihre tauglaenzenden Augen, wobei auch seine Augen einen seltsamen Schimmer annahmen. 'Wir sind die besten', schleuderten ihr seine Gene entgegen, 'wir waeren wunderbare Vaeter'. Und dann: 'Du glaubst vielleicht, du haettest noch reichlich Gelegenheit, deine Wahl zu treffen. Doch die Zeit vergeht schnell, bald wird der Glanz deines Koerpers dahin sein.' Vergeblich! Sie tat, als verstehe sie nicht und liess sich von dem Schimmer nicht blenden, ihre Gene planschten lieber in groesseren Becken. "Wenn du magst, kannst du gelegentlich wieder vorbeikommen", fuhr sie fort, "du bist herzlich eingeladen; und nicht in einem so foermlichen Rahmen, sondern einfach so, damit du uns besser kennenlernst und siehst, wie unser Alltagsleben aussieht. Birgitta wuerde sich sehr darueber freuen, und Willi moechte sich gern mal mit dir unterhalten. Was du ueber Freiheit gesagt hast, fand er hochinteressant." Ein bisschen zu oft, dass sie ihren Willi erwaehnte, fand er, und mit einem Mal realisierte er, der in sozialer Hinsicht so unbedarft war, ein wahrer Trampel, und selbst die anspruchslose Dagmar damit schier zur Verzweiflung trieb, dass diese Verabredung mit seiner Traumfrau wahrscheinlich gar nicht von ihr, sondern von Willi ausging, um ihn fuer ihren komischen Klub weichzukochen, wenn es nach ihr ginge, koennte er wahrscheinlich allein hier spazierengehen und Enten zaehlen. "Sie ist zu huebsch, um eine gute Maklerin zu sein, sie macht sich gut als Blickfang an Buecherstaenden", dachte er zynisch und traurig, und dass sie so durchsichtig zu Werk ging, war wohl eher ein Zeichen, dass sie persoenlich nicht involviert war, sondern nur einen Auftrag erfuellte, die tauglaenzenden Augen hatten nichts mit Verlangen zu tun, jedenfalls nichts mit sexuellem. Und ihn erfasste eine enthaltsame Verzeiflung und Mutlosigkeit. Mittags hatte er noch wahnsinnig Lust gehabt, mit ihr spazierenzugehen, ihr sein Herz auszubreiten, alles was ihn bewegte, und sich seinerseits ihre ganze Biographie anzuhoeren, was sie frueher gemacht hatte und wie sie bei der OAA gelandet war, und sie auch mit seinem vielleicht naiven Weltbild von Freiheit und Autonomie des Einzelnen nicht zu verschonen, und wenn er sie schon nicht ueberzeugen konnte, jedenfalls eine Arbeit an ihr zu leisten und sich auf diese Weise mit ihr und ihrer Schoenheit zu beschaeftigen. Doch eine vermittelte ist keine echte Verzweiflung, sie vermag die Vernunft nicht aufzuhalten, noch die Erkenntnis, dass er nichts bei ihr ausrichten wuerde; und wieder dachte er, es war gut, eine Dagmar zu haben, besonders in solchen Momenten, in deren Arme man jederzeit heimkehren konnte, ohne sich ueber Frauen wie Doreen noch weiter Gedanken zu machen (jedenfalls nicht zu viele unglueckliche Gedanken), die sich zum Erfuellungsgehilfen jener seltsamen Sekte machte, von der sie anscheinend viel mehr erhielt, als sie von Maennern wie ihm je erhoffte. Der Zauber war dahin; die kleinen Veraenderungen, die er schon neulich an ihr festgestellt hatte, dominierten inzwischen den Endruck, den er von ihr hatte und durchzogen seine gesamte Einstellung. Die Leute aenderten sich. In zwei, drei Jahren konnte viel passieren. Sie war immer noch begehrenswert, aber etwas fehlte, nicht nur ihre unbedingte Schoenheit, vielleicht seine Jugend, die hatte er, wenn auch nicht ganz, so doch teilweise, seit dem ersten Treffen verloren. Er kehrte zurueck, ohne besondere Enttaeuschung, wie unbeteiligt; und um nicht auf falsche Gedanken zu kommen, schluepfte er gleich in den Overall und machte mit der Wand weiter. Er schloss die letzten offenen Ecken beim Fenster und verdichtete den Gips um die Wasserleitung. Und spaeter, als auch Andreas und Werner mit anpackten, verspachtelten sie alles und strichen es glatt. "So. Dieser Teil muss erst mal trocknen", sagte er schliesslich. "Wir koennen mit der zweiten Wand anfangen", meinte Werner. "Ich habe gestern schon mal die Schrauben in den Boden gesetzt." Sie trugen Scharniere und Platten zu den bezeichneten Stellen; doch es gelang ihnen nicht, sie fest zu verankern. Wannimmer Werner keuchte "jetzt scheint es zu sitzen", bewies ihm Richard das Gegenteil, indem er mit der Hand leicht gegen den Gips drueckte und damit die Wand ins Wanken brachte. Am Ende fiel ihnen nichts besseres ein, als unter der Decke eine weitere Stuetzleiste anzubringen. "Schoen sieht das nicht aus", sagte Richard. "Wir sind eben Amateure", sagte Werner. "Vielleicht haetten wir Guenter dazuholen sollen; aber der hat so viele Termine ..." "Hauptsache, es sitzt", meinte Andreas, und so pfuschten sie konzentriert weiter, buegelten auch ein oder zwei Unebenheiten weg, wobei die Platte bedenklich knackte, und "He, Vorsicht, dass sie keinen Riss bekommt, das Zeug ist sauteuer", rief Werner, und es war das reinste Puzzlespiel, weil sie an einer Stelle nicht richtig gemessen hatten, und erst als sie es ziemlich geschafft hatten, gewannen sie ihren Optimismus zurueck, und Werner erzaehlte, "ich hab Guenter uebrigens in der Mensa getroffen, er geht da oefter mittags hin, wenn es in der Hafenstrasse nichts Warmes gibt, sie wollen ihn einziehen, ich meine zum Bund." "Ausgerechnet Guenter." Richard grinste. "Er ist mit der Verweigerung nicht durchgekommen, vor Jahren schon, weil er dem Ausschuss seine wahren Ansichten verkuendet hat, er hat es ihnen sogar schriftlich gegeben, so dass sie gar nicht anders konnten als ablehnen. Er hat die Einberufung aber hinausschieben koennen, mit Beschwerden und Eingaben, und indem er sich in Berlin angemeldet hat; aber dann haben sie rausgekriegt, wo er in Wirklichkeit wohnt. So konnten sie ihm den Einberufungsbescheid zustellen und jetzt ist er endgueltig dran." "Vielleicht war es ein Fehler von ihm, in die Hafenstrasse zu ziehen. Ich nehme an, dass sie die Besetzer extra besonders durchleuchten, ob sie ihnen was anhaengen koennen, ich meine, sobald sie die Personalien haben, und sowas wie Desertation ist natuerlich ein gefundenes Fressen ... Aber uebrigens, ich kann mir Guenter beim Bund ganz gut vorstellen, mit seiner kernigen Art ..." "Ich hab ihm auch gesagt, ist doch halb so schlimm, du kannst sie doch unterwandern, und wenn du es richtig machst, werden sie dich ganz schnell rausschmeissen; aber er hat absolut keine Lust, da hinzugehen, gerade jetzt, wo die Besetzung in die entscheidende Runde geht, jedenfalls behauptet er das ... Sie haetten schon geile Aktionen geplant, dass den Politikern der Arsch auf Grundeis geht ... Aber er hat schon recht, es ist immer beschissen, zum Bund zu muessen, Mensch, bin ich froh, dass sie mich sofort anerkannt haben." "Und ich bin froh, dass sie mich uebersehen haben", sagte Richard, "ich weiss nicht, was ich gemacht haette ... Auf der Schule war mir das noch nicht so klar, aber Bundeswehr und NATO, also nein danke ..." Da fiel ihm ein, er wollte nicht so massiv Front gegen die Bundeswehr machen, er wusste, wenn auch nicht woher, Andreas war beim Bund gewesen. Oder es war nur die Ahnung, dass Schaefer seinen Sohn nie verweigern lassen wuerde, vielleicht nicht oder nur zum Teil aus Ueberzeugung, sondern weil er meinte, die Zeiten aenderten sich und eines Tages werde der Wind den Verweigerern ins Gesicht wehen. Dabei aenderten die Zeiten sich heutzutage hauptsaechlich, indem die Alten wegstarben. Ob er das erkannt hatte? ... wobei, letztlich konnte es einem wie Schaefer egal sein, was nach ihm passierte, solange ihn niemand aus seiner Stellung verdraengte. Und jetzt war er sowieso pensioniert. Ok, mit seinem Juengsten hatte er zweidrei Schwierigkeiten, aber so gross waren die nicht, dass er sich bei schwerwiegenden Fragen nicht doch durchsetzte, Andreas war kompromissbereit, kompromissbereiter als der Alte in seiner Jugend gewesen war, wo er wie ein dummer Junge an das 1000jaehrige Reich geglaubt hatte, statt sich rueckzuversichern; und hinterher musste er Klimmzuege machen, um den Persilschein zu kriegen, aber es fehlten ja Lehrer, und da hatten sie beide Augen zugedrueckt, und paar Jahre spaeter war alles vergessen. Wie kompromissfaehig Andreas war, bewies er in diesem Moment, indem er zugab, der Staat uebertreibe es mit der Aufruestung, so gross sei die Bedrohung aus dem Osten nicht, der russische Baer, das heisst die dortige Fuehrungsschicht, scheine sich mit ihren Besitzstaenden zufrieden zu geben, eigentlich sei Amerika die aggressivere Macht, mit ihrer Wirtschaftsdynamik und so weiter. Und das war gewiss und voll und ganz seine wahre Meinung, weil er zu Jenen gehoerte, die in der Meinung der Mehrheit aufzugehen verstehen, indem sie wirklich und wahrhaftig an sie glauben; und in diesem Fall war die Meinung der Mehrheit die von Werner und Richard, und er hielt weiter darauf zu, Richards Reserve hin oder her, er wusste, das war in jeder Situation und bei allen Leuten die richtige Strategie, egal, ob sie sich als Querdenker und kritische Geister gerierten oder im Mainstream der schweigenden Mehrheit herumschwammen; und dies Wissen war gewissermassen in seinen Genen angelegt, er teilte es mit Allen, die zu seinem Genpool gehoerten, und vielleicht ist das das ganze Geheimnis des gehobenen Mitlaeufertums. Bei so vielen schlechten Gedanken wird man unaufmerksam, und es gab einen Unfall, als sie versuchten, ein paar falsch sitzende Schrauben wieder zu loesen. Richard hieb sich den Schraubenzieher in die Finger, was bei einem Maschinenbauer gewoehnlich nicht vorkommt, und Blut spritzte heraus, und Andreas lief und holte Verbandszeug, und der Schmerz vertrieb alles aus seinem Bewusstsein, Standpunkte und Ansichten, Abneigungen und Vorurteile. Waren ja doch nur rein hypothetische Konstruktionen und fuehrten zu nichts, wuerden den Lauf der Welt nicht veraendern. Rein hypothetisch, dass Alle frei und gleich geboren sind und ihre Moeglichkeiten frei ausschoepfen koennten, wenn jener Genpool ihnen den Weg nicht versperrte, indem er bestaendig an die Kardangabeln der Macht draengte, und der uebrigen Menschheit keine andere Wahl liess, als sich im ewigen Oben und Unten zurechtzufinden. Es war rein hypothetisch und passte in kein Konzept von Demokratie, weil es eine Art Sippenhaftung implizierte; und Richard war gut beraten, solche Gedanken fuer immer fahren zu lassen und Andreas in Zukunft genauso unvoreingenommen zu betrachten wie x-beliebige andere Leute. "Du gruene Neune, schon halb 8. Ich muss noch mal weg", sagte Andreas spaeter und pellte sich aus seinen verdreckten Klamotten. "Mann, ich bin auch total am Ende, ich hab genug fuer heute", sagte Werner. "Ich bin total durchgeschwitzt, trotz der Kaelte. Also Heizung anmachen brauchen wir nicht, solange wir hier so schuften. - Aber sag mal", wandte er sich an Richard, "hatte sich nicht jemand angemeldet, der nachher das Zimmer besichtigen will?" "Ja richtig, inner guten halben Stunde wollte ne Frau vorbeikommen. Waer eigentlich gut, wenn du sie dir ansehen wuerdest, sonst muss sie womoeglich nochmal antanzen." "Tut mir leid, ich weiss", sagte Andreas. "Aber mein Termin ist ganz kurzfristig festgelegt worden, er laesst sich nicht verschieben." Anders als Richard und Wernder fand er solche Interviews nicht besonders unterhaltsam, reine Zeiverschwendung, immer dieselben Fragen und Antworten. "Was erwartest du von einer WG? Haeltst du Putzplaene fuer wichtig? Hast du WG-Erfahrung?" Ihm war es relativ egal, mit wem er zusammenwohnte, er war froh, ueberhaupt ein vernuenftiges Zimmer gefunden zu haben. "Natuerlich ist es bloed, wenn die Leute wegen mir zweimal kommen muessen", sagte er. "Also, ihr koennt die Entscheidung ruhig ohne mich faellen, ihr seid die Kernmannschaft und ich nur das Anhaengsel, ich kann mir nicht vorstellen, dass ich gegen eure Wahl etwas einzuwenden habe", und dann schwirrte er ab. 'Kernmannschaft!', dachte Richard und aergerte sich, weil er seine Armbanduhr beim Arbeiten nicht abgenommen hatte, jetzt war sie voellig zerkratzt. "Wir haben uns schon ein Dutzend Leute angeschaut", sagte Werner, "es wird langsam Zeit; wir koennen die Bewerber nicht wochenlang zappeln lassen. Der eine, der Orientalist, hat schon zweimal angerufen." "Ja ok, der war ganz nett; aber er ist keine Frau." "Frauen waren erst zwei da, und die hatten kein Interesse; der einen war das Zimmer zu klein, und der andern war es hier unheimlich, so allein unter Maennern ..." "Iss egal, wir habens nich eilig - bei der geringen Miete. Ich bin dafuer, zu warten, bis uns jemand hundertprozentig gefaellt." Er wusste selbst nicht, wie sie weiter vorgehen sollten, wenn sich partout keine meldete; doch indem er seine Stimme hoeher schraubte und die letzten Worte ueberdehnte, zog er ihren Sinn ins Laecherliche und Werner auf seine Seite. Sie grinsten. "Ja-dann", sagte Werner; und nicht viel spaeter stand Heidi vor ihnen, flachsblond, gross und schlank, aber nicht zu schlank, groesser als sie beide und die Cordhose so eng, dass man Mitleid mit den Naehten hatte. Sie war vermehrungsfaehig, das konnte man hundertprozentig erkennen, wenn man ihr eine Wohnung zeigte. Spaeter standen sie in der Kueche, und sie liess sich von dem abgenutzten und im Moment mit einer dicken Staubschicht bedeckten Mobiliar nicht abschrecken, sondern sagte hastig, sie freue sich, hier zu sein, und dann ueberstuerzten sich ihre Worte, das Zimmer koenne sie gut gebrauchen, und ja, sie habe bereits in einer WG gewohnt, bis vor sechs Monaten, mit Kommilitonen von der Eff-Ha fuer Sozialpaedagogik, ganz toll sei das gewesen, sie haetten irre viel zusammen gemacht, doch dann seien einige weggezogen und die WG habe sich aufgeloest, und nun wieder bei den Eltern, das sei auf die Dauer beschissen, man vergreise dabei, sie wolle unbedingt wieder mit Gleichaltrigen zusammenleben und sei an engen Kontakten interessiert, besonders da sie im Moment keinen Freund habe; und dabei fixierte sie die beiden Strategen, dass es schon peinlich war. Sie schob den angebotenen Stuhl beiseite, wollte sich gar nicht lange hier aufhalten; das hatte sie neulich erlebt, dass sie stundenlang ausgefragt wurde, ueber ihre Ansichten und Vorlieben, und hinterher war sie doch abgelehnt worden, weil sie mittendrin irgendwas unpassendes gesagt hatte, wie das manchmal so ihre Art war. Nein, sie wollte moeglichst eine Tuer-und-Angel-Entscheidung herbeifuehren, langes Palavern wuerde das Bild, was die beiden Maenner von ihr hatten, besonders der eine, nur stoeren. "Ich muss jetzt leider weg", sagte sie also bald, und Richard war es zufrieden, war ohnehin ziemlich sprachlos, gegen so konzentrierte Weiblichkeit liess sich nicht rational ansteuern, dazu war er nicht cool genug, und seine Sexualitaet kriegte das alles langsam nicht mehr auf die Reihe, Dagmar, Doreen, Heidi, staendig aenderte sich die Stossrichtung, man wusste ueberhaupt nicht mehr, welcher Spur man folgen sollte. Und als sie hinterher allein waren, versuchte Werner nur halbherzig, ihn von ihr abzubringen. "Vielleicht sollte Andreas sie doch wenigstens gesehen haben", brachte er vor, aber nicht vehement genug, nicht gegen den Bulldozer, den Richard dann einstellte, und er hatte auch nichts gegen sie, er fand sie ganz nett und sah keine Probleme, so werden falsche Entscheidungen getroffen. - Wir verlassen jetzt die WG an der Sternschanze, warum sollen wir uns weiter mit diesen Gipskoepfen aufhalten, das wichtige ist lange gesagt, und wenden uns hoeheren Sphaeren der Wirklichkeit zu, die jedem Hamburger, der seine Stadt liebhat, gelegentlich widerfahren: Hamburger Trilogie 1. Old dirty river fliesst an meiner Seite wie im Traum geh ich an der menschenleeren Uferpromenade entlang alles ist weiter gewaltiger als in der Provinz und ungepflegter wehmuetig blicke ich nicht den Handelskaehnen, sondern dem ruhigen Wasser nach, welches sie aufwuehlen. Hinten am Horizont beginnt schon das offene Meer. im Ruecken der Hafen Blohm und Voss, Dock 10, Pipelines, Fackeln der Raffinerien, Speicher, Entladekraene, schwappendes Oel, brauner Dreck auf den Flutenkronen, steife Brise, Bredel, so viele Lieder, vergessen so viele brennende Traenen zwei Radfahrer ueberholen mich hier verschanzt, graebt sich die wahre Bourgeoisie ein uralt wie der Strom er wird seinen Lauf nicht mehr aendern oder alles zermahlen in Gedanken versunken verbreitert sich ploetzlich die Promenade ein Cafe, hier lass ich mich nieder neben Senioren, die ueber ihr Leben nachdenken vertan. schweifen zu mir, ihre Blicke 2. Suburbgardening der Fluss ueberall Lastschiffschornsteine segeln vorbei, verschwinden hinter dem Suellberg tauchen bei Cuxhaven ins Meer den Suellberg hinauf: Gaerten des Reichtums, vergangener Knochenarbeit Frucht, und Tiefgaragen voll Porsches erst Stille dann klaeffende Jagdhunde sich windende Koerper am Zaun zwei Kinder im Sandkasten unter alten Kastanien spaerliche Sonne Ginster blueht, Unkraut und auch manche Blume ist ausgetreten. Hier lebt man gut konservatives Revier weiter weg von der Elbe, im Hinterland, die Haeuser sind schlichter, keine alten Baeume knoecherne Nachbarschaft. wieso hier wohnen, wenn man in Pinneberg weniger Steuern bezahlt? flaches Land, als waere Euklid mit der Raupe druebergefahren Flachs und Baumschulen. Unglueck der Heimat. unerfuellbare Sehnsucht wir drehen uns, Norderstedt kommt in Sicht, unbefriedigte Ehefrauen und Zahnarzthelferinnen schoen wie Elfen Hier rettete ich eine Wachtel vor dem Verkehrstod der Oberlauf der Alster, wieder Idylle und Reichtum, aber einfach zu haben, wie alles in Hamburg, beim Spaziergang im Osten Wandsbeck, Dynamik, Wachstum, Verbrauch dann Barmbek, die Arbeiter ... vergessen jedes Jahr im Mai beginnt hier der Zug, jedes Jahr Krawall die Jungen mit der Polizei, die Hunde, Eigelb auf weissen Westen Schwaene auf den Kanaelen 3. Soft Waters mit der ueber alles Geliebten, die mich abwies an der Alster die haengenden Weiden, Enten verschiedenster Farbe und Groesse, Jollen und Katamarane, Gruner und Jahr und PR-Agenturen, fuer die sie taetig ist, versunken erstarrt in die Traeume, die mich nicht mehr verfolgen, unerreichbar ist alles geworden, ihr Haar, ihre Lippen, ihr Rock die Augen, einst bettelten sie, das Geheimnis zu lueften, unter dem sie so litt, heute ihr Licht ist gelöscht Sturm auf der Lombardbruecke zurueck in den Schutz der Allee im Gewuehl zeigt sich der Reichtum der Stadt die Einsamkeit feiert Triumphe bei den Galerien Geheimnisse, Kaufen als Kunst. Oder Waffe? Friedlich die Kupferdaecher, stumpf und massiver als das Haus-an-Haus suedlicher Seemetropolen Hamburg, meine Geliebte