Wenn ich heute, da ich alt und grau geworden bin und mich die Frauen, nicht nur meiner schlechten Zaehne wegen, nicht mehr begehren, auf einer Strandpromenade spazieren gehe, die sich ueber mehrere Kilometer an der sueditalienischen, von Bergen, Felsen und einem ganz gewoehnlichen Sandstrand umrahmten Kueste entlang zieht, im Bereich einer groesseren, fuer ihre Vergangenheit hoch geruehmten, in der Gegenwart des Massentourismus nurmehr geistig banalen, orientierungslosen Ferienortschaft entlang zieht, in der junges Leben wimmelt und wogt, gebraeuntes, sportliches Wohlstandsleben, ausser, wie jetzt um die Mittagszeit, wo jeder anstaendige Italiener, und vielleicht auch der unanstaendige, ebenso wie der vom vormittaeglichen Sonnenbad erschoepfte Tourist, hinter verschlossenen Laeden und bei geschlossenen Augen die Gedanken spielen laesst, Gedanken an kostbare Schmuckstuecke auf junger, samtweicher Haut, an seltene Edelsteine, Bikiniober- und Unterteile, oder den Sand zwischen den Zehennaegeln, waehrend eine einzelne Muecke in dem dunklen von der Klimaanlage wohltemperierten Raum ihn solange umschwirrt, bis er sich von seinen Traeumen vorlaeufig verabschiedet, entnervt die Augen aufschlaegt, das Licht anmacht, nach einem schweissfeuchten Handtuch greift, um damit erfolglos nach ihr zu schlagen, wird mir wohl niemand, der sich seinen gesunden Hausverstand bewahrt hat statt unergiebigen Reflexionen und taeglich wechselnden Daseinshypothesen nachzuhaengen, das Recht streitig machen, das hoehere Recht, und das niedrige auch, gewisse Urteile zu faellen, Urteile nicht, oder nur verhalten, ueber den Charakter der Landschaft, die hier vom Meer weg zu karstigen Haengen ansteigt, bis sie sich im Gegenlicht der Sonne verliert, der Menschen, die von ganz anderem Schlage als in Deutschland sind, zaeher naemlich und fatalistischer, die aelter werden als wir, nicht nur weil ihr hitze-erprobter Kreislauf fast jeder Belastung standhaelt, die immer braungebrannt durch die Gegend laufen, ohne sich den Hauch eines Sonnenbrandes zu holen, sich mit einem unvermeidlichen Schicksal viel leichter abfinden als die stets unzufriedenen Deutschen, oder ueber die Kultur, die sie hervorgebracht haben und taeglich neu hervorbringen, in staendigem Wechselspiel, wie die Fahnen an den Masten der Ferienanlagen in ihrem Wechselspiel mit dem Wind mal in der einen, mal in der anderen Richtung flattern, und auch mal ungeduldig gegen den Masten zu schlagen, um am naechsten oder spaetestens uebernaechsten Tag die Federn haengen zu lassen wenngleich dieses Bild jenen Teil der Kultur, der uns von unseren Altvorderen als unabaenderliches Wertesystem oder in der Form haesslicher, unzerstoerbarer Betonarchitektur ueberliefert wird, natuerlich nicht trifft, worauf ein grosses Schwitzen bei Mensch und Tier einsetzt, das tagelang anhaelt und von dem uns erst eines der seltenen Unwetter befreit, welche, wenn sie kommen, die Gegend mit Macht heimsuchen, einer Kultur, deren sie sich nicht zu schaemen brauchen, denn, wenn sie auch keinen Goethe hervorgebracht haben, gibt es doch viele Orte hier in Italien, in denen der Atem einer grossen Vergangenheit zu spueren ist, nicht nur antike Ausgrabungsstaetten, auch Malerei und Wissenschaft haben die Italiener miterfunden, Urteile auch nicht ueber das scheinbare Fehlverhalten einzelner im stetigen Strom der Zeit, wenn sie sich, seis offen, seis versteckt, gesellschaftlichen Zwaengen wiedersetzen, die in den Doerfern seit Generationen vom einen auf den anderen weitergegeben und bis vor gar nicht langer Zeit mit Vehemenz verteidigt wurden weil sie ihren Sinn nicht mehr verstehen, der sich anscheinend in heisse Luft aufgeloest hat, oder weil sie grundsaetzlich, nachdem sie mit den Freiheiten der westlichen Kultur in Beruehrung gekommen sind, in Sonderheit der amerikanischen mit ihren bunt angemalten Frittenbuden und Mondlande-Vergnuegungsparks, diesen Versuchungen, Verheissungen, die doch niemals in Erfuellung gehen, oder einfach, um neue Moeglichkeiten aufzutun, alles Ueberlieferte in Frage stellen, wie zum Beispiel die Pflicht eines Paares, welches zusammen gewesen ist, sofort zu heiraten, auch wenn es sich nicht liebt, sondern nur der Gier eines hitzigen Augenblicks nachgegeben hat, oder seiner Liebe nicht sicher ist, oder sich mit einer Touristin einlassen, was in der guten alten Zeit garantiert niemals vorgekommen waere, waehrend heute jeder gesunde gutgebaute Italiener sich nichts schoeneres vorstellen kann, wenn sie dem Strafgesetzbuch gar um es Garibaldi gleichzutun, sich mutig entgegen stellen, der, wenn er sich an die damaligen Gesetze gehalten haette, niemals den Grundstein fuer ein geeintes Italien haette legen koennen, sondern laengst vergessen in der Erde schlummern wuerde, waehrend so Strassen und Plaetze, ja ganze Stadtteile, nach ihm benannt sind, auch die Strasse, welche ich momentan durchschreite, und sich wohl jede groessere norditalienische Stadt seiner Besuche bruestet, und die heutigen Politiker sein Lob gar nicht laut genug singen koennen, politisch allzu links stehende Positionen geflissentlich uebergehend, wenngleich ihm dies jetzt, wo er tot ist, auch nichts mehr nutzt und sowieso piep egal sein kann, da sie ihm frueher nicht zu Hilfe gekommen sind, dem verzweifelt Machtlosen, und von der Meute der in- und auslaendischen Fuersten gehetzten, seine Italiener, und daher die Strassen und Plaetze zwar seinen Namen tragen, doch niemals seinen Geist atmen werden, der verloren ist, fuer immer verloren, und nur in jenen wenigen aufersteht, die uebers Unrecht der Gesetze sich hinwegsetzen, wie ers in Jugendtagen getan hat, als er gegen Sizilien marschierte, OFFEN hinwegsetzen, wohlgemerkt, denn wer's im Geheimen tut, im stillen Kaemmerlein, ist mit einem Garibaldi gewiss nicht zu vergleichen, womit keineswegs jeder Gesetzesbruch zu einer Freiheitstat stilisiert werden soll sondern Urteile ganz allgemeiner Art, die das Leben an sich betreffen, Fragen, mit denen sich Garibaldi, der doch eher ein Politiker gewesen ist, wenn auch keiner im modernen Sinne, der Lobbyisten im Zaun halten muss und Interessen austarieren oder gegeneinander ausspielen, wahrscheinlich nicht beschaeftigt hat, auch im Sturm und Drang seiner Jugend nicht, sehr wohl aber andere Italiener, nach denen hier Strassen benannt sind, Galilei zum Beispiel, auch wenn uns die geschichtlichen Quellen nicht anzeigen, wie weit an diese Fragen er sich tatsaechlich herangewagt hat und nicht stehen geblieben ist in seinem Streit mit den Paepsten, der nach meiner Meinung kein zuerst wissenschaftlicher, sondern ein politischer gewesen ist oder da Vinci, um den Beruehmtesten zu nennen, der das Fliegen lernen wollte und in allem, in wirklich allem, ueber den anderen Italienern steht, und nicht nur denen, findungsreicher als Edison war, genialer als Rembrandt oder Picasso, praezisester unter den Forschern, und man sich fragt, ob er hinter dem Fliegen mehr gesehen hat als die Moeglichkeit, Mensch und Material bequemer als zu Lande ueber grosse Entfernungen zu transportieren, das Sich-Frei-Machen von den Zwaengen der Gravitation naemlich, dieser letztendlich auch heute noch raetselhaften Erscheinung, die uns an die Erde fest kettet, und vielleicht von den Zwaengen der Physik ueberhaupt, das mit Riesentrossen weit in die Luft sich erheben, dass jeder Erdling, der sie von unten bestaunt und das Staunen noch nicht verlernt hat, auf die naemlichen Gedanken kommen muss wie sie mir durch den Kopf gehen, dass naemlich hinter dem blossen Dasein, hinter dem Fliegen, dem Mond und den Sternen, mit jedem Schritt, den wir galant und charmant auf unbekanntes Terrain setzen, an 1000 Stellen um uns herum der Kosmos aufreisst, Blinken und Blitzen und feine Glockenschlaege uns rufen, die andere, prosaische Zeitgenossen, die mit einem Quixote, einem Rosalva absolut nichts anfangen koennen, sie wohl fuer Trugbilder eines uebertrieben empfindsamen Gemuetes halten moegen, die aber mich, waehrend ich unter sengender Sonne voranschreite, und nur gelegentlich einem Menschen begegne, keineswegs beunruhigen, sondern, im Gegenteil, die unendlich ermuedende Hitze leichter ertragen lassen, da die Waage der Wahrheit sich zu dieser Stunde unweigerlich zu Ungunsten der Wirklichkeit zu verschieben beginnt, und wenn dann noch eine Blondine mit kurzgeschnittenem Haar und knallrotem Bikini, die so frisch aussieht, als sei sie gerade den kuehlenden Wogen des Meeres entstiegen, beschwingt mir begegnet, und in diesem Schwingen gewisse Koerperteile sich besonders hervortun, und unsere Blicke unterm Dunkel der Sonnenbrillen sich kreuzen, oder auch nicht, und sie langsamer wird, das heisst, mir scheint, dass sie langsamer wird, und die Fragezeichen in ihren Augen sich zu Worten verdichten, das heisst, mir scheint, dass sie sich verdichten, dass dies meine lang erwartete, lang ersehnte Dulzinea sein koennte, koennte, sage ich, denn ganz wie in der Ferne der schnurgeraden Uferstrasse, an der die Bebauung jetzt nachlaesst und die Autos mit ihren sagenhaften Klimaanlagen jetzt schneller fahren, ein Laster, ein Riesengefaehrt, aus der silber-feuchten Fata-Morgana des Horizontes sich loest, aufsteigt wie Phoenix, sich ihr Geschlecht zu einer einzigen Bitte materialisiert, zu einem einzigen Schrei, aber nur scheinbar, denn dann ist sie vorueber, und von der Bitte, vom Schrei, bleibt nichts als ein kleines Gewichtsstueck, welches, auf die Waage der Wahrheit gelegt, meinen verirrten Hoffnungen, den zerbrochenen Traeumen und unvergaenglichen Illusionen einen derartigen Schwung gibt, dass ich mich hinsetzen muss, weil mir vor soviel Schwung schwindelig geworden ist, mir altem Baeren im besten Rentensalter, der sich nicht mehr und nicht weniger als seine allerletzte Italienreise geleistet hat, sofort hinsetzen, wo ich gerade gehe und stehe, auf die Vortreppe eines neu erbauten grossen Hotelkomplexes, der selbst jetzt, da die Sonne am hoechsten steht, seine Schatten ueber die Strasse wirft und mich schnell in die Wirklichkeit zurueckholt eine leicht modifizierte Wirklichkeit immerhin, in welcher ich zwischen den Polen mehrerer Magneten hin und her schwanke wie ein Schiff, ehe es in einem rasenden Sturm untergeht.