Bergsommerreise (frei nach Hofmannsthal)



Abend.
Die dunklen Schluchten der Berge gluehen von innerem Feuer.
Ein unsaeglich leichter Hauch geht wie Atem von Tann zu Tann,
schleift luestern ueber den Boden,
ergreift wohl ein bleichendes Laken und blaeht es wie Segel.
In den Troegen schwillt Wasser,
staerker gurgelt es in den Roehren,
und rauscht aus dem Felsspalt.

Von den Matten laesst sich der Heuduft nieder, umwallt die Gefaehrten,
und jeder Schatten der Nacht dort am Waldrand,
gleicht einem Trekker, der sich hinliess, in den Mantel gerollt,
mit dem ersten Fruehstrahl leicht weiterzugehn.

Den naechsten Morgen begann ihre Reise. Ihr Weg
war mit dem abwaertsrauschenden Wasser. Ihr Ziel
war das Land des Sommers da unten.
Irgend ein Huegel, festlich gekroent mit ueppigen Straeussen rankender Reben;
irgend ein Weiher, wie ein purpurspielender EdeIstein eingefasst in das Gruene des Huegels;
irgend ein Schloss, aus dessen braunroten Truemmern die breitblaettrige Feige waechst,
und der Oelbaum;
irgend ein Dickicht, durch dessen Stille ein schimmernder Schein klingt,
und dessen Zweige noch schaukeln vom Fluechten feuchter, leuchtender Wesen.

In die Flanke der Berge ist die Strasse geschnitten, darunter toben die Wasser.
Doerfer haengen herab zwischen hier und dem Himmel,
und die steigende Lerche singt aus schwindelnder Hoeh.
Oben mag einer stehen an seiner Eltern Grab und sich ueber die niedrige
Friedhofsmauer beugen, und die Lerche unter sich sehen, und die Doerfer darunten,
und der vergoldete Engel auf der Spitze des Kirchturms funkelt herauf aus der Tiefe.

Schoene Brunnen sind an der Strasse;
Statuen, aus denen vier Strahlen in steinerne Troege springen;
jeder Strahl ein erfrischender Quell, aus Schnee und Sonne geschmolzen.
Frauen, alte und junge, steigen aus Doerfern herauf und aus Doerfern herab, langsam beschwerliche Pfade;
jede traegt auf der Schulter das Joch mit blitzenden kupfernen Becken.
Und wie das Wasser des Brunnens toenend hineinfaellt,
so kommen die beiden wieder zusammen,
die dem dunkelsten Bergschoss entsprangen, Wasser und Erz.

Uralte Bruecken springen in riesigen Boegen, wie aus den Flanken der Berge gewachsen,
tief unten ueber das schaeumende Wasser,
ueber Felsen und Waelder hinweg.
Uralt, ihr Bauch ist mit triefenden Moosen behangen;
uraltes Menschenwerk, die Natur holt's zurueck.

Und wie in Schlucht die Schluchten muenden und in das Wasser die Waesser sich stuerzen
und Pfad und Bruecke die Doerfer verknuepfen
und Steige hinabfuehren von der Huette des Hirten zu der Muehle im Tal,
die im ewigen Wasserfall steht und gruen ueberwuchert ist,
und der Wind Glockenklang herauftraegt und Glockenklang herab
und von drueben und jenseits,
so fuehlst du, es ist mehr als ein Tal, ist eine Welt.
Und ihre Schoenheit gleicht der jener auftuermenden Wolke dort,
die voll Wucht ist und Dunkelheit und doch leuchtend,
und zergeht oben in goldenem Schmelz;
und schoen wie die Wolke mit zerschmelzenden Buchten ist auch ihr Name,
heisst das Cadorin.

Das Cadorin ist ein Erker, der hinabsieht auf ein tieferes Land,
das wie ein Mantel von den Hueften der Alpen niederschleift bis ans Meer
und an schoengebauten Staedten reicher ist als jede Landschaft der Erde.
Drei sind die prunkvollen Spangen im Saum dieses Mantels:
Venedig, tritonische Stadt der Kaufmannspalaeste, Vicenza, Verona.
In den Falten ist Geschmeide verborgen, doch wer kann jede durchwuehlen?
Hier liegt Belluno, hier gleitest du nach Treviso hinab,
hier zweigts nach Vittorio, und schon hast du Feltre versaeumt,
schon liegt Asolo seitlich, schon bleibt Bassano zurueck.
Wie grosse Herren, die ihren eigenen Namen immerfort rufen, ihre Leute um sich zu sammeln,
so rufen die Stadte immerfort ihren Namen durch die laue luftige Landschaft;
ueber jeder blaeht sich ihr Name wie ein gelb und purpurnes Segel, wie eine wehende Fahne.
- Und ist zugleich der eines Malers.
Paolo Veronese, Pordenone, Bassano,
Giovanni da Udine, und Cima di Conegliano, Morto di Feltre,
Bordone Treviso und Pellegrino di San Daniele:
Ruhm wohnt in jeder halbzerbrochenen Stadt
wie die nackte Dryade im Strunk ihres sterbenden Baumes.

Das wilde Wasser der Berge umfliesst ruhig Kirche und Schloss,
spiegelt zerfallende Mauern, gleitet in lautlosem Rinnen dahin,
gibt dem Dorf seinen Weiher und dem Park seinen Teich.
Sie spiegeln die ferne goldumrandete Wolke
von unten her ins Gebaelk der offenen Halle.
Still ruht sie dort,
nur ein unsaeglich feiner Hauch ist zu spueren.
So schwindet erst hier der gewaltige Drang der Berge
in selige Ruh.


© Copyright: B. Lampe, 1997

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